Banken blockieren für die Befreiung der Tiere?

Aus: Tierbefreiung 76

Die Tierbefreiungsbewegung hat sich im Mai 2012 mit einem eigenen Block und Flyer (1) an den Aktionstagen von Blockupy in Frankfurt beteiligt. Wir wollen genauer (2) wissen, was die initiierenden Hamburger_innen angetrieben hat, das heißt, welche Zusammenhänge und welche Aufgaben der Tierbefreiungs-bewegung sie sehen.

TIERBEFREIUNG: Ihr habt euch als Tierbefreiungsblock an Blockupy, also an kapitalismuskritischen Aktionstagen in Frankfurt, beteiligt. Mal ganz allgemein gefragt: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Florian: Tiere werden in unserer Gesellschaft fast ausschließlich danach betrachtet, welchen Nutzen sie für Menschen haben. Das hat natürlich etwas mit einer Wirtschaftsweise zu tun, die nur auf Verwertung und die Maximierung von Profit ausgerichtet ist. Denn in der kapitalistischen Produktion treten die Bedürfnisse und Interessen von Tieren hinter ihren Wert zurück. Das heißt, wenn es uns darum geht, das Mensch-Tier-Verhältnis tatsächlich zu ändern, bedarf es auch der Überwindung dieser zutiefst destruktiven Ökonomie.
Annika: Die globale Wirtschaftskrise ist ja in aller Munde. Das, was da an Maßnahmen durch politische Akteure wie die Europäische Zentralbank, die Bundesregierung oder die EU betrieben wird, ist nichts anderes als der Versuch, die Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung aufrechtzuerhalten, dessen Opfer nicht zuletzt die Tiere sind. Wir sagen, es gibt keinen vernünftigen Grund, einem Wirtschaftssystem als Retter oder Retterin zur Seite zu springen, das tagtäglich Elend produziert. Von daher war es für uns nur konsequent, als Aktive der Tierbefreiungsbewegung dazu aufzurufen, sich an den Blockupy-Aktionstagen zu beteiligen.

Könnt ihr diese wichtige Verbindung von Ökonomie und Tierausbeutung grad mal ausführen?
Annika: Diese Frage erfordert natürlich komplexe Antworten. Ich kann das an dieser Stelle nur an einem Beispiel verdeutlichen: Um ihre Existenz aufrechtzuerhalten, müssen Menschen Nahrung zu sich nehmen. Die Form, in der diese Nahrungsmittel produziert werden, ist gegenwärtig eine kapitalistische. Das heißt, es wird nicht produziert, um Bedarfe oder Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen, sondern um die produzierten Güter auf dem Markt zu veräußern. Oder anders ausgedrückt, die Bedürfnisse von Menschen, aber auch von Tieren, sind den Agrarkonzernen erst einmal egal, denn die Produktion folgt den Notwendigkeiten fortschreitender Kapitalakkumulation. Tiere gelten im kapitalistischen Produktionsprozess daher auch nicht als einzigartige Individuen, sondern als austauschbare Ressource, Produktionsmittel oder Ware. Das ist die ökonomische Basis der Ausbeutung von Tieren.
Florian: Gestützt wird das Ganze dann von einer speziesistischen Ideologie, die dieses Verhältnis als unveränderlich und natürlich erscheinen lässt und legitimiert, dass Profit auf Kosten der Tiere gemacht wird. Das Perfide daran ist aber, dass es gemessen am technisch und gesellschaftlich Möglichen überhaupt keinen Grund gibt, Tiere auszubeuten, um Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen.

»Es gibt keinen vernünftigen Grund, einem Wirtschaftssystem zur Seite zu springen, das tagtäglich Elend produziert.

Was sind die konkreten Ziele der Tierbefreiungsbewegung bei der Beteiligung an Krisenprotesten?
Florian: Wir sagen ja, dass unsere Gesellschaft nach anderen Prinzipien als bloßer Profitmaximierung ausgerichtet sein sollte, um das gegenwärtige Mensch-Tier-Verhältnis zu verändern. Eine notwendige Forderung ist, dass die Menschen in allen Gesellschaftsbereichen tatsächlich teilhaben und mitbestimmen können. Das ist gegenwärtig nicht der Fall, da beispielsweise die Ökonomie privatwirtschaftlich organisiert ist. Erst wenn wir in partizipativ und demokratisch organisierten Entscheidungsprozessen mitbestimmen können, zum Beispiel, wie unsere Lebensmittel produziert und verteilt werden, können die Bedürfnisse von Tieren eine Berücksichtigung finden. Wenn das autoritäre Krisenregime wirtschaftliche Interessen durch Prozesse der Entdemokratisierung abzusichern versucht, ist es auch Aufgabe der Tierbefreiungsbewegung, hier aktiven Widerstand zu leisten. Aber es geht auch darum, gemeinsam mit anderen Bewegungen dafür zu kämpfen, sich die Kontrolle über zentrale Lebensbereiche wieder anzueignen. Etwa Schlüsselindustrien wie die Finanzindustrie oder eben die Lebensmittelproduktion zu vergesellschaften, um diese Bereiche der kapitalistischen Verwertung zu entziehen. Kurzum, der herrschenden Politik eine solidarische Perspektive entgegenzusetzen. Erst eine solche Gesellschaft bietet die Grundlage, das Projekt der Befreiung der Tiere zu realisieren.
Annika: Gerade weil Veränderungen nicht von einzelnen politischen Bewegungen allein erreicht werden können, finden wir es wichtig, in Diskussionsprozesse zu treten und sich darüber auszutauschen, welche Ziele und Strategien wir als Akteure in verschiedenen politischen Kämpfen gemeinsam haben. Nicht zuletzt hoffen wir darauf, dass sich im Austausch auch unsere Position verdeutlicht, dass eine Kritik an unfreien Verhältnissen nicht vor der Kritik der Ausbeutung und Beherrschung von Tieren halt machen kann.

Nicht wenige meinen, man sollte sich eher auf Ethik konzentrieren und den Konsument_innen und Entscheidungsträger_innen in Politik und Wirtschaft dann diese ethischen Prinzipien vorhalten. Euer Ansatz ist ein anderer. Was sollte eurer Meinung nach jemand tun, der aus ethischen Gründen „für die Tiere“ und gegen Tierausbeutung ist?
Annika: Na ja, wir sagen halt, dass die moralischen Fragen, die sich aus dem menschlichen Umgang mit nicht-menschlichen Individuen ergeben, nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Verhältnissen betrachtet werden können. Andere Menschen von der Richtigkeit ethischer Prinzipien zu überzeugen, ist ja die eine Sache. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit wir überhaupt die Möglichkeit haben, moralisch zu handeln. Schaut man sich die gesellschaftlichen Verhältnisse an, wird man feststellen, dass wir nur eingeschränkt frei entscheiden können. Tatsächlich ist der Großteil der Menschen von der Verfügung über zentrale Lebensbereiche abgeschnitten. Daher sollte es darum gehen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Menschen bewusst über die Organisation der Gesellschaft entscheiden können. Wir sind auch der Meinung, dass ethische Appelle an einen „korrekten Konsum“ zwar nicht falsch sind, dass sie aber auch gesellschaftliche Probleme, wie zum Beispiel Tierausbeutung und dass Menschen Hunger leiden, individualisieren. Nicht zuletzt kommt es darauf an, eine Wirtschaftsweise, die diese Probleme systematisch hervorbringt, grundsätzlich zu verändern, und dies funktioniert nicht ausschließlich über Konsumentscheidungen.
Florian: Was die Entscheidungsträger_innen in Politik und Wirtschaft betrifft, würde ich schon sagen, dass diese durchaus ein Adressat von Protesten sein können. Ein Unternehmen ist nicht darauf angewiesen, Tierausbeutungsprodukte zu verkaufen. Ebenso kann die Politik unter Druck gesetzt werden, um die Zulassung von Tierversuchen oder den Bau neuer Mastanlagen zu verhindern. Hier kann durchaus versucht werden, mit ethischen Prinzipien Leute zu überzeugen. Nur darf man sich da keine Illusionen machen: Solange sich aus der Ausbeutung von Tieren Kapital schlagen lässt, und solange die Politik sich ökonomischen Sachzwängen unterwirft, können allenfalls Teilerfolge erzielt werden.

Geht bei euch der „Tier-Aspekt“ nicht etwas unter, wenn ihr ein so weites Ziel verfolgt, zum Beispiel die Lebensmittelproduktion zu vergesellschaften? Oder anders gefragt, inwiefern macht ihr dann noch „Tier“befreiungsarbeit?
Florian: Das ist natürlich eine berechtigte Frage. Zunächst einmal möchten wir klarstellen, dass es nicht unsere Position ist, dass es erst einmal um die Überwindung des Kapitalismus geht und wir uns dann die Frage nach der Behandlung der Tiere stellen sollten; oder aber, dass mit der Überwindung des Kapitalismus automatisch die Tiere befreit würden. Wir sagen aber, dass Tierausbeutung nur überwunden werden kann, wenn wir auch deren ökonomische Grundlage angreifen. Als Aktivist_innen der Tierbefreiungsbewegung ist und bleibt das Leiden der Tiere der Ausgangspunkt unseres Engagements für eine andere Gesellschaft. Das wird sich auch nicht ändern.
Annika: Wir rufen ja auch nicht dazu auf, keine Tierbefreiungs-Demos mehr zu machen oder sich nicht mehr an Kampagnen der Tierbefreiungsbewegung zu beteiligen, im Gegenteil. Wir sollten aber auch schauen, warum die Tiere ausgebeutet werden, warum sich diese Verhältnisse, unter denen Tiere leiden, reproduzieren. Wie gesagt, die Ökonomie spielt da eine nicht unwesentliche Rolle. Daher ist es unseres Erachtens wichtig, nach Möglichkeiten zu suchen, als Tierbefreiungsaktivist_innen gemeinsam mit anderen Bewegungen in diesem Bereich für Veränderungen zu kämpfen.

Wie schätzt ihr den Ablauf und die Wirkung eurer Beteiligung bei Blockupy ein?
Annika: Die Aktionstage waren ja von einer massiven Repression und Einschüchterung betroffen. Wir hatten uns mehr vorgenommen als dann vor Ort umgesetzt werden konnte. Zum Beispiel hatten wir vor, uns an der Besetzung zentraler Plätze zu beteiligen und ein „Tierbefreiungsbarrio“ zu schaffen. Dieser Platz sollte dem Austausch und der Vernetzung untereinander und vor allem der Diskussion mit Aktiven aus anderen Bewegungen dienen. Alle Versammlungen auf den Plätzen wurden jedoch durch die Polizei teils gewaltsam beendet. Zudem wollten wir uns in den vielen geplanten Diskussionsveranstaltungen mit unseren Perspektiven einbringen. Auch hierzu kam es nicht, da sie ebenfalls von Verboten betroffen waren.
Florian: Man muss aber sagen, dass wir schon sehr präsent waren. Wir haben mehrere Tausend Flyer zum Thema Krise des Kapitalismus, Naturbeherrschung und Tierausbeutung an andere Demoteilnehmer_innen verteilt. Wir waren immer wieder mit Transparenten und Sprechchören zugegen, ob bei der Besetzung des Römerbergs, den Protesten vor der EZB während der Bankenblockade oder aber als kleiner, aber entschlossener Block bei der Großdemonstration. Was wir an Rückmeldungen erhalten haben, war durchaus positiv. Im Vorfeld und während der Proteste gab es viel Zuspruch zu unseren Aktivitäten.

»Tierausbeutung kann nur überwunden werden, wenn wir auch deren ökonomische Grundlage angreifen.

Seid ihr zufrieden mit der Beteiligung der Tierbefreiungsbewegung an den Aktionstagen in Frankfurt?
Annika: Zunächst einmal, uns hat die Zusammenarbeit mit den beteiligten Gruppen viel Spaß gemacht, sowohl im Vorfeld, als auch bei den Aktionstagen selbst. Gerade aus Frankfurt und den umliegenden Städten kam viel Unterstützung. Aber wir hatten schon gedacht, dass ein Aufruf zu so Aktionstagen auf mehr Resonanz trifft. Es hat zum Beispiel einige aus unserem Netzwerk schon gewundert, dass so Gruppen, die ihre Selbstverständnisse gern mit Slogans wie „Gegen Kapitalismus“ oder „Für Herrschaftskritik“ unterschreiben, gar nicht da waren. Also ich meine die Leute aus dem Spektrum der „Autonomen Antispe“. Vielleicht waren die auch mit anderen Zusammenhängen unterwegs, kann ja sein. Ein anderer Punkt ist, dass das ganze Konzept der Aktionstage auch mit vielen Unsicherheiten verbunden war: Gelingen die Besetzungen? Wie sind die Cops drauf? Wie bringe ich mich überhaupt in Diskussionen mit Aktiven anderer Bewegungen ein? Das ist auch viel Neues und Unvorhersehbares. Es ist schon was anderes als zu einer Demo mit einem klar umrissenen Ablauf zu fahren. Es kann sein, dass hier Vorstellungen und Erfahrungen fehlen, wie man sich bei so Großevents einbringt. Woran es letztendlich lag, dass wir da nicht mit ein paar hundert Aktiven vor Ort waren, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nur spekulieren.

War die Beteiligung an einer kapitalismuskritischen Großveranstaltung jetzt einmalig oder wird der eingeschlagene Kurs beibehalten?
Florian: Zunächst einmal war das ja keine einmalige Sache. Es gab und gibt ja immer mal wieder Initiativen wie zum Beispiel die Wietze-Proteste, die Anschluss an andere politische Bewegungen suchen. Nichtsdestotrotz waren vergangene Diskussionen um das politische Profil der Tierbefreiungsbewegung oft recht abstrakt. Wir denken daher, dass wir in diesem Bereich mehr Erfahrungen sammeln müssen und uns in andere soziale Kämpfe einmischen sollten. Die Aktionstage in Frankfurt waren von uns sicher nicht der letzte Versuch in diese Richtung.
Annika: Wir wünschen uns aber auch, dass mehr Initiativen von anderen Gruppen und Netzwerken kommen. Auch wenn es für viele heißt, erst einmal ins kalte Wasser zu springen oder auch mal mit seinem Anliegen zu scheitern: Solche Erfahrungen können die Grundlage von Reflexionsprozessen und der Erarbeitung von konkreten Handlungsstrategien bilden, wie wir dem Elend der allgegenwärtigen Ausbeutung der Tiere perspektivisch ein Ende setzen können.
Das Interview führte

Das Interview führte Emil Franzinelli.

Fußnoten:

[1] Siehe und lese: www.tierbefreiung-hamburg.org/archives/1255
[2] Beachte auch eine knappe Darstellung von Will Potters Ansicht: www.tierbefreier.de/tierbefreiung/73/occupy.html