Kritik und Wir

Stilistische und argumentative Anmerkungen zu linker Kritik an Tierbefreiung und Antispeziesismus

„Tier und wir“ lautet der Titel eines Ende Juni im Dossier der Wochenzeitung Jungle World erschienenen Artikels von Heiko Werning. Grob zusammengefasst setzt sich der Text mit den aufkommenden Human-Animal Studies (HAS) auseinander, greift dabei aber auch tief in die Mottenkiste linker Kritik an der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Da Texte wie dieser in schöner Regelmäßigkeit durch den Blätterwald geistern, werde ich nicht speziell auf alle Argumente dieses Textes eingehen, sondern vor allem übergreifende Argumentationsmuster und Stilmittel vergleichbarer Texte herausarbeiten.

 

PETA, Peter und der „akademische Veganismus“

Zunächst beim Überfliegen ein Déjà-vu: Peter Singer will behinderte Neugeborene töten lassen, PETA betreibt Holocaust-Relativierung, fährt sexistische Kampagnen und bringt herrenlose Tiere um. Und das scheint die Schuld all derer zu sein, die sich für Tierrechte, Tierbefreiung und/oder Antispeziesismus einsetzen. Kaum ein Text zur Kritik an tierfreundlichem Gedankengut kommt ohne diese Homogenisierung und Begriffsverwischung aus: Tierrechte gleich Tierbefreiung gleich Antispeziesismus gleich Veganismus. Unbenommen erhöht sich mit dieser Gleichsetzung die Angriffsfläche beträchtlich und Linke können anderen Linken den Lieblingsvorwurf zur Bestätigung ihres eigenen Links-Seins machen: Ihr seid gar keine Linken! Ihr seid Menschenfeinde! Ihr reaktionären Faschisten! Und Hitler war ja auch Vegetarier!

Neu ist allerdings, dass diese Kritik auf das Forschungsfeld der Human-Animal Studies übertragen wird. Keine unnütze Gleichsetzung, kann die Argumentation doch so selbst dann durchgehalten werden, wenn das eigentliche Ziel gerade keine passende Aussage bereit hält. Die Human-Animal Studies jedenfalls betreiben in dieser Lesart „akademischen Veganismus“(1) , „fest verankert in der Tierrechts-, Tierbefreiungs- und Veganismusbewegung“ und verabschieden sich damit „von der deskriptiven Forschung um des Erkenntnisgewinns willen zugunsten der Ideologie“. Die Begriffsverwischung zwischen Tierrecht und Antispeziesismus funktioniert auch hier tadellos: Die Äußerungen des Tierethikers und „Vordenkers der Tierrechtler“ Peter Singer reichen als Beleg dafür aus, dass die „antispeziesistischen Positionen“, auf denen die HAS beruhen, schlussendlich zur Ermordung behinderter Menschen führen: „Das ist sozusagen angewandter Antispeziesismus“. Vom Vorwurf des antispeziesistischen Mordmotives gerade so erholt, stellt sich die Frage, auf welchen Annahmen eine derartige Behauptung beruht.

Und täglich grüßt das Murmeltier …

Ein, auch im Text von Werning zu findendes, stetig wiederkehrendes Argumentationsmuster verknüpft das Eintreten für nichtmenschliche Tiere mit einer unterschiedslosen Gleichsetzung von Menschen und nichtmenschlichen Tieren. Stilistisch ein klassischer Pappkamerad: Ich baue meine Kritik auf der Grundlage eines Argumentes auf, welches meine Kontrahent_innen gar nicht benutzen und widerlege es. Pappkamerad, ich habe dich bezwungen!

Von dieser Setzung ausgehend, folgert Werning, dass die absolute Gleichheit dann aber auch eine gleichberechtigte Behandlung von menschlichen und nichtmenschlichen Wesen auf allen Ebenen – und vor allem auf Augenhöhe – nach sich ziehen müsste und die Menschenwürde dabei unter die Räder kommen würde. Einer solchen zurecht konstruierten Position wird in der Folge an jedem möglichen und unmöglichen Beispiel Inkonsistenz vorgeworfen, etwa warum der Schimpanse nicht vor Gericht kommt, wenn er einen Artgenossen umbringt. Eine weitere Variante der klassischen Frage, warum nicht das Wahlrecht für Kühe gefordert wird. Die Vehemenz mit der dieses Argument wieder und wieder bemüht wird, lässt am Interesse einer Klärung zweifeln. Es folgt einer eigenartigen Logik, nach der nur entweder nichtmenschliche Tiere absolut gleich oder absolut anders als Menschen sein können. Eine Erklärung für diese befremdliche Opposition mag die westliche Tradition der Gegenüberstellung von Menschen und allen anderen Tieren sein. So wurden z.B. in der Philosophie – wie auch in der Rechtsgeschichte gerade in Abgrenzung ‚zum Tier’ Kategorien wie Recht und Würde begründet. (2)

Diese Gleichsetzung ist für die eigentliche Diskussion irrelevant, ist doch das entscheidende Anliegen, dass nichtmenschliche Tiere ethisch Berücksichtigung finden. Und hier kann nur geantwortet werden: Nein, ‚der’ Mensch wird nicht mit ‚dem’ Tier gleichgesetzt, denn es gibt ‚den’ Menschen und ‚das’ Tier in dieser Allgemeinheit nicht. Es gibt Individuum A und Individuum B, die unterschiedlichen Arten angehören und sich jeweils voneinander und von den Individuen C und D derselben Art unterscheiden. (3) Sie haben jeweils eine eigene Geschichte, eigene Erfahrungen und eigene Bedürfnisse. Die Begründung für eine ethische Berücksichtigung für nichtmenschliche Lebewesen fällt in dieser Argumentation entsprechend schlichter aus: Allein die Ähnlichkeit in der Leidensfähigkeit reicht aus, um eine ethische Berücksichtigung aus Motiven der Ähnlichkeit heraus zu fordern. Antispeziesismus ist die Behandlung von Individuen anhand ihrer Bedürfnisse. Sind diese unterschiedlich, bedarf es eben einer bedürfnisgerechten Ungleichbehandlung. (4)

Auf einen Vergleich nichtmenschlicher und menschlicher Fähigkeiten, die als Garanten für Rechte und Würde gelten könnten, sollte sich gar nicht erst eingelassen werden. Barbara Noske formulierte dazu treffend: „Wenn sie (nichtmenschliche Tiere) unsere Tests bestehen müssen, die nach unseren Maßstäben ausgelegt sind, werden sie immer als Zweitbeste aussteigen, d.h. als defizitäre Menschen.“ (5) Stattdessen besitzen sie nach Noske keinen menschlichen, aber einen andersweltlichen Subjektstatus. Menschen und nichtmenschliche Tiere verbindet ein komplexes Band von Kontinuitäten und Diskontinuitäten, welches es weder erlaubt, nichtmenschliche Tiere im Vergleich zum Menschen als das ‚ganz Andere’ zu betrachten, noch Menschen zu bloßen ‚Tieren’ zu erklären. Deshalb ist der Versuch einer absoluten Gleichsetzung genau wie eine absolute Distanzierung unsinnig (6) .

Grundsätzlich ist hinzuzufügen, dass eine solche abstrakt-ethisch geführte Debatte schnell am Kern der Problematik vorbei zielt, wenn sie nur Kategorien zueinander ins Verhältnis setzt, aber keine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse beinhaltet. Denn nichtmenschliche Tiere sind faktisch Teil der menschlichen Gesellschaft und müssen als solche betrachtet werden. Sie stehen, gruppiert in Kategorien wie ‚Nutztiere’ und ‚Haustiere’, in ständiger Interaktion mit Menschen und tragen Anteil an der menschlichen Geschichte, Kultur und Ökonomie. Die Veränderung oder Beibehaltung eines bestimmten Mensch-Tier-Verhältnisses zieht entsprechend vielfältige Konsequenzen für Menschen, nichtmenschliche Tiere, Klima und Umwelt nach sich. In der Kritik wird dieser Umstand gern ausgeblendet und auf trivialisierende und individualisierende Beispiele herunter gebrochen.

Die gesellschaftliche Natur der Mensch-Tier-Verhältnisse

Nicht zufällig benutzt der „Tier und wir“-Artikel das Beispiel des Zoos für eine exemplarische Freiheits-Diskussion. Stilistisch wird hier eine Argumentation an einem Nebenschauplatz durchdiskutiert, um Widersprüche zu verdecken, die an anderen Beispielen offener zu Tage treten würden. Im Zoo geht es ausnahmsweise einmal nicht um häuten, experimentieren, schießen oder essen. Nein, es geht um einen Leguan und einen Frosch. Denen mangelt es im Zoo an keiner Freiheit, weil sie dafür sowieso keinen Begriff hätten. So stört sich der Zoo-Frosch auch nicht daran, beobachtet zu werden und dem Leguan winkt im Gegensatz zur rauen Wildnis „anstrengungsloser Wohlstand“. Leguan und Frosch dienen als Stütze des Arguments, dass die Human-Animal Studies ungeachtet realer Verhältnisse „anthropozentrische Moralvorstellungen einfach auf andere Arten übertragen“. Was sich aller Wahrscheinlichkeit nach anschließt, ist eine Diskussion um die Freiheitsvorstellung von Frosch und Leguan oder wie gut oder schlecht deren Leben in Freiheit oder Gefangenschaft aussieht. Damit kann zwar abendfüllend eine entkontextualisierte philosophische Debatte geführt werden. Gesellschaftstheoretisch wäre dies aber ein fruchtloses Unterfangen. Interaktionen zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren als gesellschaftlich zu betrachten, bedeutet für Leguan und Frosch im Zoo, z.B. danach zu fragen, warum Menschen über sie in dieser Art und Weise verfügen dürfen. Warum Menschen ihnen ihre angenommene ‚Natur’ nachbauen und warum Menschen Eintritt bezahlen, um sich Tiere hinter Wassergräben oder Glasscheiben anzuschauen.

Die eigentliche Konfliktlinie liegt jedoch nicht in der Frage, ob es einem nichtmenschlichen Tier im Zoo oder in der ‚Freiheit’ besser geht. Diese verläuft vielmehr dort, wo Menschen mit nichtmenschlichen Tieren in Interaktion treten. In der Gegenwart dürfte das jedoch nahezu jedes wildlebende Tier betreffen – die domestizierten sowieso. Für eine Argumentationsstruktur, wie sie in „Tier und wir“ verfolgt wird, mag es relevant sein, ob der Löwe das Zebra frisst und was ein Tierrechtler davon halten mag; Hauptbedrohung für das Zebra, wie für den Löwen und auch für die Kuh sind jedoch direkt und indirekt Menschen und ihr Verhältnis zu nichtmenschlichen Tieren und der eigenen Umwelt. Die Massentierhaltung verschlingt eine solche Menge an Acker- und Weideflächen, dass sie Hauptgrund für Waldrodungen und Zerstörung von ehemaligen Wildtierhabitaten darstellt. Es werden Löwe und Zebra vertrieben, um noch mehr domestizierte Tiere mästen und schlachten zu können. Mittlerweile stellen die Tiere aus der Tierhaltung das Gewicht von einem Fünftel aller auf der Erde lebender nichtmenschlicher Tiere dar. An vielen Schnittpunkten ist die Verknüpfung zu innermenschlicher Unterdrückung offenkundig. Genannt seien stellvertretend nur die Agrarflächen, die im globalen Süden für gentechnisch veränderte Tierfutter-Monokulturen für den Export verwendet werden, anstatt als Agrarflächen zur Deckung der Lebensmittelnachfrage der eigenen Bevölkerung benutzt werden zu können.

Die Freiheit, die ich meine

Natürlich ist es trotzdem diskussionswürdig, was ‚Freiheit’ für nichtmenschliche Tiere bedeuten könnte. Diese Diskussion ist aber nicht abstrakt, sondern im Hinblick auf die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu führen. Denn unter den derzeitigen Bedingungen wird die ‚Freiheit’ wohl weder innerhalb noch außerhalb der Käfige zu finden sein. Da Ähnliches auch für die Menschen im Kapitalismus gilt, ist ein bewegliches und vernetztes Denken gefragt, welches sowohl die Widersprüche der gesellschaftlichen Verhältnisse erkennen als auch die Widersprüche der eigenen Position aushalten kann – ohne hinter bereits erreichte Positionen zurückzufallen. Notwendigerweise stehen einige Antworten noch aus. Was nicht heißt, dass es lohnt, jeder Kritik hinterher zu argumentieren. Aber es lohnt manchmal, eine Kritik gründlich zu lesen und die eigenen Positionen an ihr zu erproben.

Markus Kurth

Fußnoten:

1. Sofern nicht anders angegeben, entstammen die folgenden Zitate dem Artikel „Tier und wir“ von Heiko Werning (Jungle World 26/2012).

2. Dazu das obligatorische Adorno-Zitat: „Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus. Mit seiner Unvernunft beweisen sie die Menschenwürde. Mit solcher Beharrlichkeit und Einstimmigkeit ist der Gegensatz (…) hergebetet worden, daß er wie wenige Ideen zum Grundbestand der westlichen Anthropologie gehört.“ (Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung: 262)

3. Die Diskussion darüber, welche nichtmenschlichen Tiere als Individuen gelten können, kann an dieser Stelle nicht geführt werden. Klar ist, dass zumindest domestizierten Haussäugetieren als anerkannten Teilen der menschlichen Gesellschaft „Persönlichkeit“ unterstellt wird und die Individuierung ihrer Bedürfnisse weit voran geschritten ist.

4. Hier schließt sich eine der wichtigsten offenen Fragen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung an: Welche Bedürfnisse und Interessen haben nichtmenschliche Tiere und wie können wir diese in Erfahrung bringen?

5. Noske, Barbara (2008): Die Entfremdung der Lebewesen. Die Ausbeutung im tierindustriellen Komplex und die gesellschaftliche Konstruktion von Speziesgrenzen. Wien/Mülheim a.d. Ruhr: Guthmann-Peterson.

6. Illustriert werden kann dies an Wernings Verwunderung darüber, dass zwar von nichtmenschlichen Tieren, aber nicht von menschlichen Tieren gesprochen wird.[1] Siehe und lese: www.tierbefreiung-hamburg.org/archives/1255