Eine kurze Kritik der Anthroposophie

Eine kurze Kritik der Anthroposophie

Demeter ist ein beliebter Bio-Verband, der für sich die „Qualitätsführerschaft im Bio-Bereich“ in Anspruch nimmt. (1) Von vielen Menschen wird er als vorbildlicher Bio-Erzeuger mit hohen Standards wahrgenommen. Der Demeter-Verband schafft es sehr erfolgreich, sich ein Image vom „besseren Bio“ zu geben. Demeter habe die strengsten Regeln und damit die höchste Qualität. Auch sei De-meter Garant für eine artgerechtere Tierhal-tung, immerhin dürfen Demeter-Kühe ihre Hörner behalten. Dabei ist sowohl aus einer tierbefreierischen als auch aus einer emanzipatorischen Perspektive einiges an Demeter und seinen Hintergründen zu kritisieren. Hierzu ist zunächst eine kurze Begriffsklärung nötig. Demeter ist die Bezeichnung des Anbauverbands, sozusagen die Marke. Die landwirtschaftliche Wirtschaftsweise, die sich dahinter verbirgt, wird „bio-dynamischer An-bau“ genannt. Meine Kritik hat zwei Ansätze. Erstens schließt eine Landwirtschaft nach Demeter-Richtlinien einen veganen Anbau aus. Zweitens basiert die bio-dynamische Landwirtschaft auf der Anthroposophie, einer esoterischen Weltanschauung, die von Rudolf Steiner im Jahr 1913 begründet wurde.

Die Grundzüge der Anthroposophie sind autoritär und elitär

Zum ersten Punkt: Der Demeter-Verband gibt in seinen Richtlinien (2) vor, dass die bio-dyna-mische Landwirtschaft auf dem Einbeziehen einer Tierhaltung gründet. Landwirtschaftliche Betriebe müssen eine Mindestanzahl an Tieren halten. Die obligatorische Tierhaltung wird gar als Pluspunkt gegenüber dem staatlichen Bio-Siegel angegeben, das eine solche nicht vorgibt. Weiterhin müssen alle Betriebe die sogenannten bio-dynamischen Präparate anwenden. Diese Präparate werden herge-stellt, indem beispielsweise Kuhhörner mit Kuhdung gefüllt und über Winter vergraben werden. Im Frühjahr wird der Mist wieder herausgeholt, in ein Wasserfass gegeben und so gerührt, dass sich in der Mitte des Was-sers ein Trichter bildet. Eine Stunde lang wird in beide Richtungen abwechselnd auf diese Weise gerührt, dabei sollen die innere Stimmung und der Ort des Rührens einen wichtigen Einfluss auf die spätere vermeintliche Wirkung des Präparats haben. Dieses so „dynamisierte“ Wasser wird anschließend auf dem Ackerboden verspritzt und soll angeblich anhand von kosmischen Kräften eine stärkere Durchwurzelung des Bodens und eine Stär-kung der Pflanzen bewirken. Andere Präparate werden hergestellt, indem Schafgarbe in die Blase eines Rothirsches gefüllt wird oder Kamillenblüten in einen Rinderdarm oder Eichenrinde in den Schädel eines Haustieres und diese über Winter vergraben werden. Der Einsatz dieser nicht veganen Präparate ist ein zentrales Grundprinzip, durch das sich die bio-dynamische Landwirtschaft unter ande-rem definiert und vom sonstigen Bio-Anbau abgrenzt. (3)

Die von manchen aufgebrachte Hoffnung, dass innerhalb des Demeter-Verbands durch Veganer*innen eine Veränderung bewirkt und ein mit bio-veganem Anbau sympathisierender Flügel gestärkt werden könne, wird sich nicht erfüllen. Der Demeter-Verband erkennt die gesellschaftlichen Entwick-lungen – zunehmende moralische Bedenken beim Fleischkonsum, zunehmende Zahlen von Vegetarier*innen und Veganer*innen in Deutschland – und versteht es geschickt, diese aufzugreifen und für die eigene Position nutz-bar zu machen. So verkünden sie stolz: 19 Demeter-Produkte tragen das Siegel der British Vegan Society! Aber eine Zukunft ohne „Nutz-tiere“? Nicht mit Demeter. Am 12. November 2013 lud der Verband Demeter e.V. zu einer „Fachveranstaltung“ nach Berlin ein. Thema: „Braucht der Mensch noch Nutztiere? – Die Zukunft der Tierhaltung“. Die Frage war un-ter anderem: „Ist die Zeit der Nutztiere vor-bei und die Zukunft vegetarisch?“ Dass die Nutztierhaltung an keiner Stelle ernsthaft prinzipiell hinterfragt wurde, wurde schon aus der Liste der geladenen Sprecher*innen ersichtlich: Demeter-Vorstand Dr. Alexander Gerber, Dr. Anita Idel, Autorin von Die Kuh ist kein Klima-Killer!, Demeter-Landwirt und Kuhhalter Martin Ott, Dr. Ursula Hudson von Slow Food e.V. und Stefan Johnigk von PROVIEH – Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V. Allgemeiner Tenor der Veranstaltung war es, die Auswüchse in der Massentierhaltung zu verurteilen und die eigenen politischen Ansätze einer „artgerechten Haltung“ als bessere Alternativen darzustellen, während eine Landwirtschaft ohne Tier-haltung nicht wünschenswert oder auch gar nicht machbar sei. Das Ergebnis der Veranstaltung stand somit von vornherein fest und wurde bereits im Vorfeld in einem vorberei-teten Handout mit „Fakten und Daten“ (4) festgehalten. Diese „Fakten und Daten“ enthalten zudem mehrere undifferenzierte beziehungs-weise falsche Informationen, etwa dass die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise als einzige die Bodenfruchtbarkeit aufrecht erhalten könne. Es geht also in erster Linie um ein politisches Statement und um die Bestätigung der eigenen Sichtweise, nicht darum, eine Idee kritisch zu prüfen, wie es Alexander Gerber in seinem Einführungsvortrag noch ankündigt. (5)

Zum zweiten Punkt: Selbst wenn der bio-dynamische Anbau komplett vegan würde, wären damit alle Einwände entkräftet? Nein, denn da ist immer noch die Anthroposophie, die die weltanschauliche Grundlage des bio-dynamischen Anbaus bildet. Nun könnte man einwenden, dass man über diesen Punkt unterschiedlicher Ansicht sein könne, und es dabei belassen. Dies halte ich aus einer eman-zipatorischen Perspektive nicht für vertretbar, immerhin basiert die Anthroposophie auf Rudolf Steiners Ansichten, die von äußerst krude bis hin zu stark diskriminierend rei-chen. Steiner gab vor, übersinnliche Fähig-keiten und in einem anderen Geisteszustand Einblick in die Akasha-Chronik, eine Art Weltengedächtnis, zu haben. Die Grundzüge der Anthroposophie sind autoritär und elitär; es besteht die Vorstellung, dass eingeweihte Erleuchtete im Auftrag höherer Wesen die Geschicke der Menschheit lenken würden. Zentraler Bestandteil der Anthroposophie ist der Glaube an Karma und Wiedergeburt, auf den sich viele Lehren Steiners zurückführen lassen. Beispielsweise gelten Menschen mit Behinderungen als Wesen, die aufgrund ihres Karma an einer gesunden Inkarnation gehin-dert wurden, und die Behinderung wird als „karmische Belehrung“ ausgelegt. (6) Der Anthroposoph Karl König, dessen Auf-sätze 1998 als Erzählstoff für die achte Klasse an Waldorfschulen empfohlen wurden, interpretierte den Holocaust als karmischen Ausgleich und als „eingeschrieben in das Menschheitskarma“, da die Juden den Verrat des Judas hät-ten sühnen müssen. (7) Steiners Version der Menschheitsgeschichte basiert auf einer Rassenlehre. Er behauptete, die nor-disch-germanische Rasse sei von 1415 bis 3573 die auserwählte Rasse, und die Arier seien zur (spirituellen) Führung ausersehen. Steiners völkisches Denken wird am deutlichsten in einem Vortrag von 1923, in welchem er sagt, schwar-ze Menschen in Afrika hätten „die Ei-gentümlichkeit, dass sie alles Licht und alle Wärme vom Weltenraum aufsaugen“. (8) Weil sie die Wärme nicht wieder „abstrahlen“ könnten, ginge der Stoff-wechsel bei einem schwarzen Menschen [Steiner benutzt das N-Wort] so vor sich, „wie wenn er in seinem Inneren von der Sonne ständig gekocht würde. Da-her kommt sein Triebleben.“ Weiterhin schreibt er, „[d]ie [N-Wort]rasse gehört nicht zu Europa, und es ist natürlich nur ein Unfug, dass sie jetzt in Europa eine so große Rolle spielt.“ Amerikanische Ureinwohner*innen seien ausgewanderte Schwarze, die in Amerika nicht ausrei-chend Licht und Wärme abbekämen und daher aussterben würden; sie seien eine „erstarrte Rasse“. Mit dieser Aussage verharmlost Steiner den Völkermord an den amerikanischen Ureinwohner*innen.

Auch antisemitische Stereotypen und Ansichten finden sich in Steiners Werk. Steiner war überzeugt davon, dass sich das Judentum überlebt habe. Es habe „keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens“, und dass es sich dennoch erhalten hat, sei „ein Fehler in der Weltgeschichte“. (9) Von solchen rassistischen und antisemitischen Aussagen Steiners hat sich die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland bis heute nicht distanziert.

Die Anthroposophie isteine der am weitestengesellschaftlichverbreiteten esoterischen Strömungen, die ihreabstruse Weltsicht durch geschicktes Marketingzu verbergen weiß.

Die Anthroposophie ist eine der am weitesten gesellschaftlich verbreiteten eso-terischen Strömungen, die ihre abstruse Weltsicht durch geschicktes Marketing zu verbergen weiß, gleichzeitig aber in der Bio-Szene gut integriert ist und de-ren Einrichtungen und Produkte beson-ders auf „alternativ“ lebende Menschen anziehend wirken. In Deutschland ist die Anthroposophie in vielen gesellschaft-lichen Bereichen zu finden: Nicht nur in bio-dynamischen Demeter-Produkten, sondern auch als geistige Grundlage der Naturkosmetikfirma Weleda (10) und von Waldorfschulen und -kindergärten. Die Gründer der Bio-Supermarktkette Al-natura (11) und der Drogeriekette DM sind Anthroposophen, und auch die GLS-Bank (12) wurde von Anthroposoph*innen gegründet. (13) Vor diesem Hintergrund ist auch besser verständlich, warum die Demeter-Kühe ihre Hörner behalten dürfen. Nicht aus reiner Tierfreundlich-keit, nein – Steiner zufolge hat die Kuh Hörner, „um in sich hineinzusenden das-jenige, was astralisch-ätherisch gestalten soll“. (14) Die „Kräfte“, die die Kuh mit ih-ren Hörnern gesammelt hat, sollen über die Hornpräparate wieder an den Boden abgegeben werden. Die besondere „Qualität“, die Demeter-Produkte ausmache, besteht in erster Linie aus solchen eso-terischen Praktiken, die geschickt vermarktet werden.

Ich denke, dass vielen Menschen gar nicht bekannt ist, welche abstrusen Vorstellungen hinter den veganen Demeter-Produkten im Bioladen stecken – von der damit untrennbar verbundenen Tierhaltung mal abgesehen. Für alle, die sich mit Anthroposophie-Kritik aus einer eman-zipatorischen Perspektive näher beschäftigen möchten, empfehle ich als Einstieg das Buch Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur von Claudia Barth, er-schienen 2006 im Alibri Verlag, sowie das Buch Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolfs Steiners und die Waldorfpädagogik von Peter Bierl, erschienen 2005 im Konkret Literatur Verlag.

Text: Lisa Rotenberg
aus: TIERBEFREIUNG 82  / März 2014 / Titelthema: Tierbefreiung & Landwirtschaft (pdf öffnen)
Beitragsbild von Stephan Riedel auf Pixabay

 

 

[1] Siehe www.demeter.de/Verbraucher/über%20uns/unterschiede%20bio%20demete
r[2] Demeter e.V. [Hg.]: „Erzeugung. Richtlinien zur Erzeu-gung der Demeter-Qualität“. Stand: Dezember 2013, www.demeter.de/sites/default/files/richtlinien/ERZ-Rili_2014.pdf, Seite 9.
[3] Der geistige Hintergrund und die Herstellung der Präparate wurde 1924 von Rudolf Steiner in seinem Land-wirtschaftlichen Kurs erläutert und nimmt fast ein Drittel des Vortragsumfangs ein. Rudolf Steiner: Geisteswissen-schaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft (Landwirtschaftlicher Kurs). Acht Vorträge, Koberwitz bei Breslau, 7. bis 16. Juni 1924, http://anthroposophie.byu.edu/vortraege/327.pdf
[4] Siehe www.demeter.de/sites/default/files/public/pdf/20131105_Handout_Braucht%20der%20Mensch%20noch%20Nutztiere_final.pdf
[5] Eine Zusammenfassung der Veranstalter*innen undVideoaufzeichnungen der Vorträge sind zu finden unter:www.demeter.de/Verbraucher/Aktuell/pe_nutztiere_berlin
[6] Bierl 2005, Seite 29f.
[7] Siehe Bierl 2005, Seite 138f.
[8] Rudolf Steiner: „Vom Leben des Menschen und der Erde, Über das Wesen des Christentums“, Vortrag vom 3. März 1923, GA 349. http://fvn-archiv.net/PDF/GA/GA349.pdf#page=GA, Seite 52Ff
[9] Rudolf Steiner (1888): „Robert Hamerling: ‚Homunku-lus‘. Modernes Epos in 10 Gesängen“, GA 32.http://anthroposophie.byu.edu/aufsaetze/l104.pdf, Seite 152
[10] Im Nationalsozialismus wurden im KZ Dachau bei Menschenversuchen Drogerieprodukte von Weleda getestet. Der ehemalige Obergärtner von Weleda wurde als Leiter der Kräuterplantage des KZ eingesetzt. Dies sei kein Zufall, da die Anthroposophie eine enge Affinität zur nazis-tischen Ideologie aufweise, wie unter anderem Peter Bierl schlussfolgert. Weleda stellt sich selbst als „traditionell anthroposophisch“ dar (www.weleda.de/Unternehmen).
[11] Bei Alnatura wird die anthroposophische Grundlage relativ offen gezeigt. In der Gratis-Zeitschrift Alnatura Ma-gazin sind regelmäßig Aufsätze zu verschiedenen anthropo-sophischen Themen veröffentlicht, und auf der Homepage wird unter der Rubrik „Panorama“ über Anthroposophie informiert (www.alnatura.de/Panorama/anthroposophie).
[12] Während die GLS-Bank zu Beginn vor allem anthropo-sophische Projekte gefördert hat, hat sich heute das Spek-trum erweitert. Eine enge Verbindung zur Anthroposophie besteht weiterhin: Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft, eine Stiftung der GLS-Bank, fördert schwerpunktmäßig die bio-dynamische Pflanzenzüchtung; die von der GLS Treu-hand geförderten Einrichtungen lesen sich als Überblick über anthroposophische Aktivitäten in Deutschland und weltweit. Sie reichen von Waldorfschulen und der Allgemei-nen Anthroposophischen Gesellschaft über Einrichtungen der anthroposophischen Medizin und Heilpädagogik bis hin zu anthroposophischen Forschungsinstituten und Hoch-schulen, in denen esoterischen Praktiken ein wissenschaft-licher Anstrich gegeben werden soll (www.gls-treuhand.de/besucherinnen/gefoerderte-projekte).
[13] Außerdem die Software AG Stiftung (mit jährlich 25 Millionen Euro Fördergeldern eine der größten Stiftungen Deutschlands), zahlreiche Öko-Firmen (beispielsweise die Waschmittelfirma Sonett oder Naturkosmetikherstellerin Martina Gebhardt) sowie der Großteil der ökologischen Pflanzenzüchtung.[14] Siehe Fußnote 3, Seite 97