Einfach vegan?!

Einfach vegan?!

Definition, Realität und Anspruch des Veganismus

Beim Betreten eines Supermarktes können ständig neue vegane Produkte mit immer neuen Kennzeichnungen und Logos entdeckt werden. Was es für Neueinsteiger*innen verlockend einfach macht, vegan zu leben und Neues zu entdecken, macht aber auch nachdenklich: Immer wieder verschwinden kleine Firmen mit einem rein veganen Angebot scheinbar vom Markt, während immer mehr Fleischproduzent*innen das Potential veganer Produkte zur Profitmaximierung erkennen und nutzen. [1]

Am prominentesten ist wohl das Beispiel der Rügenwalder Mühle: Unterstützt vom Vegetarierbund Deutschland (VEBU), produzie-ren sie seit Dezember 2014 auch vegetarische und seit November 2015 vegane Produkte, die „in absehbarer Zeit“ etwa ein Drittel des Sortiments ausmachen sollen. [2] Doch der VEBU bildet damit keine Ausnah-me: Auch PeTA überlegte im Jahr 2015, eine vegane Produktlinie von Wiesenhof zu unter-stützen und mit ihrem Logo zu verzieren, was letztlich durch den Protest der Mastbe-triebe verhindert wurde. [3] Der Deutsche Tier-schutzbund trieb das Ganze auf die Spitze und führte 2012/13 ein Tierschutzlabel für „Produkte tierischen Ursprungs“ ein. [4] Infolge dieser Kooperationen ist beispielsweise das Lörracher Familienunternehmen Lord of Tofu im Oktober 2015 aus dem VEBU mit der Begründung ausgestiegen, dass sie seit der Unterstützung von konventionellen Fleischkonzernen durch den VEBU als Produzent*innen veganer Lebensmittel aus den Lebensmittelgeschäften wieder ausgelistet würden. Dies hänge damit zusammen, dass es für den Lebensmitteleinzelhandel einfacher ist, von dem*r Fleischlieferant*in auch gleich noch die „Veggie“-Produkte zu beziehen. [5] Vegane Unternehmen haben es so noch schwerer, ihre Produkte zu verbreiten, während Fleischkonzerne ihren Profit maximieren, ohne auch nur irgendetwas an ihrer sonstigen Produktion ändern zu müssen. Im Gegensatz zu den Produzent*innen veganer Produkte, die oft auch auf soziale und ökologische Auswirkungen der Produktion achten, produzieren Fleischkonzerne weiterhin auf konventionelle Weise mit verheerenden Folgen, nicht nur für nichtmenschliche Tiere. Lord of Tofu bezeichnen dies sehr treffend als „Rückschritt“. [5] Gleichzeitig stellen sich hier die Fragen: Was ist vegan? Wie kann es ausgelegt werden? Können Produkte von Tierausbeuter*innen überhaupt vegan sein?

Die Produktion veganer Lebensmittel muss vom Acker bis zum Teller gedacht werden.

Lange waren Begriffe wie vegetarisch und vegan nicht rechtsverbindlich definiert, was zur Folge hatte, dass die Begrifflichkeiten unterschiedlich ausgelegt werden konnten. Die Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) forderte die EU-Kommission deshalb bereits 2011 dazu auf, Kriterien für die freiwillige Kennzeichnung veganer (und vegetarischer) Lebensmittel festzulegen. [6] Bei der 12. Verbraucherschutzministerkonferenz, die am 22. April 2016 in Düsseldorf stattfand, wurde darauf reagiert: Im Ergebnisprotokoll der Konferenz heißt es „Die Ministerinnen, Minister, die Senatorinnen und der Senator der Verbraucherschutzressorts der Länder begrüßen die auf der 27. Sitzung der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz beschlossenen Definitionen für vegane und vegetarische Lebensmittel“. [7] Damit wurde die folgende Vegan-Definition, gemeinsam erarbeitet von Vertreter*innen der Bundesländer, der Lebensmittelwirtschaft und des VEBU, auf der Konferenz einstimmig angenommen:  „Vegan sind Lebensmittel, die keine Erzeugnisse tierischen Ursprungs sind und bei denen auf allen Produktions- und Verarbeitungsstufen keine Zutaten (einschließlich Zusatzstoffe, Trägerstoffe, Aromen und Enzyme) oder Verarbeitungshilfsstoffe oder Nicht-Lebensmittelzusatzstoffe, die auf dieselbe Weise und zu demselben Zweck wie Verarbeitungshilfsstoffe verwendet werden, die tierischen Ursprungs sind, in verarbeiteter oder unverarbeiteter Form zugesetzt oder verwendet worden sind“. [8]

Laut dieser Definition wird also der gesamte Herstellungsprozess mit allen Produktionsstufen inklusive der teilweise nicht in Zutatenlisten angegebenen Hilfs- und Zusatzstoffe bedacht. Gleichzeitig wird die Bundesregierung mit dem Beschluss dazu aufgefordert, den Wortlaut der Definition auch bei der Europäischen Kommission vorzuschlagen und auf eine Umsetzung der Verordnung zu drängen.[9] Für den deutschen Markt gilt für vermeintlich vegane Lebensmittel demnach in nicht allzu ferner Zukunft, dass sie nur noch als solche ausgelobt werden dürfen, wenn sie der eben genannten Definition entsprechen. Ferner wurde bei der Verbraucherschutzministerkonferenz beschlossen, dass die Lebensmittelüberwachung der Länder die Definition ab sofort (das heißt seit 2016) bei ihrer Arbeit heranziehen muss.

Doch der Schein trügt: Was auf den ersten Blick umfassend wirkt und positiv stimmt, weist zwei große Lücken auf. [10] Zum einen heißt es in einem weiteren Absatz „Einer Auslobung als vegan […] stehen unbeabsichtigte Einträge […] nicht entgegen, wenn und soweit diese […] bei Einhaltung der guten Herstellungspraxis technisch unvermeidbar sind“. [11] Diese Aufweichung der Definition spielt vor allem den Fleischproduzent*innen in die Hände, die dadurch auf eine räumliche Trennung der Produktion von veganen und nicht-veganen Produkten verzichten können. Begründet wird diese Entscheidung mit dem Vorwand, dass „eine Nulltoleranz […] eine unbillige Härte darstellen und die Erfüllbarkeit der Definitionsanforderungen stark einschränken“ würde. [12] Der VEBU hatte bei der Ausarbeitung der Definition laut eigenen Angaben sogar gefordert, dass es „zur Bereitstellung eines größtmöglichen Produktangebots für Hersteller möglich sein [muss], nicht-vegane und vegane […] Lebensmittel mit den gleichen Produktionsanlagen herzustellen“. Diese Forderung stelle aus Sicht des VEBU aber kein Problem dar, da eventuell kontaminierte Produkte ja dennoch nicht „zur vermehrten Nutzung von Tieren, zur Umweltschädigung oder Ressourcenverschwendung“ beitragen würden. [13] Der VEBU scheint dabei zu vergessen, dass eine solche Aufweichung der Definition dazu führt, dass es für Fleischproduzent*innen auch in Zukunft sehr einfach sein wird, auf den Vegan-Trend aufzuspringen. Dies hat zur Folge, dass mit dem Kauf veganer Produkte von Fleischkonzernen Tierausbeutung, Umweltschädigung und Ressourcenverschwendung mitfinanziert werden, während Firmen mit einem rein veganen Angebot (die also auf Tierausbeutung verzichten und Umweltschädigung und Ressourcenverschwendung zu vermeiden versuchen) gleichzeitig vom Markt gedrängt werden. Damit wird auch direkt eine weitere Lücke der Vegan-Definition aufgezeigt, da Pflanzen vor dem Ernten laut EG-Verordnung Nr. 178/2002 nicht als Lebensmittel gelten und die landwirtschaftliche Produktion demnach in der Definition nicht berücksichtigt wird. [14] Das bedeutet, dass als vegan gekennzeichnete Produkte auch weiterhin aus einer Landwirtschaft stammen können, die neben Mist und Gülle auch Knochen-, Haar- und Blutmehl als Dünger einsetzt und damit eng mit der Tierhaltung zusammenarbeitet beziehungsweise von dieser abhängig ist. Dies kritisierte bereits Daniel Mettke vom Biologisch-veganen Netzwerk für Landwirtschaft und Gartenbau (BVN) in einem Interview [15] und verwies darauf, dass die Produktion veganer Lebensmittel vom Acker bis zum Teller gedacht werden müsse. Auch Eugen Ehrenberg, Gründer des Gärtnerhof Bienenbüttel, gab vor einiger Zeit zu bedenken: „Wenn man die Kritik an der Tierhaltung konsequent zu Ende denkt, ist bio-vegane Landwirtschaft die einzige Option“. [16]

Die heutige, rechtsverbindliche Vegan-Definition ist weit von der ursprünglichen Idee des (politischen) Veganismus entfernt.

Anhand dessen ist nun hoffentlich deutlich geworden, dass eine Vegan-Definition an sich noch keine wirklichen Vorteile gegenüber dem vorherigen System mit sich bringt. Es gibt allerdings Menschen, die diesem Zustand entgegenwirken wollen. So wirbt beispielsweise das BVN seit vielen Jahren für eine Landwirtschaft ohne Tierausbeutung, die (sofern der Wille dazu da ist) problemlos machbar ist, wie verschiedenste Praktiker*innen (zum Beispiel Gärtnerhof Bienenbüttel bei Lüneburg, Mischkulturbetrieb der Familie Langerhorst in Oberösterreich) seit Jahrzehnten beweisen. Auch der Haferdrink-Hersteller Oatly experimentierte 2016 erstmals mit bio-veganem Haferanbau, wie das britische Vegan Organic Network (VON) im vergangenen Jahr mitteilte. [17] Zudem gibt es nun endlich auch einen bio-veganen Anbauverband für den deutschsprachigen Raum: Dank des 2016 initiierten und in Rheinland-Pfalz ansässigen Anbauvereines „Biozyklisch-Veganer Anbau – BIO.VEG.AN.“ ist nun eine Zertifizierung der Produkte aus bio-veganem Anbau möglich. [18] Im Februar hatte dieser seine „Biozyklisch-Veganen Anbaurichtlinien“ auf der weltweit größten Messe der ökologischen Lebensmittelwirtschaft in Nürnberg erstmals präsentiert. [19] Ziele des Vereines sind nach eigenen Angaben „der Aufbau und die Förderung einer zukunftsfähigen, kreislauforientierten, vegan ausgerichteten Form des ökologischen Landbaus durch Einführung der biozyklisch-veganen Prinzipien in allen Bereichen der Land- und Ernährungswirtschaft“. Der Verein wird sich in der nächsten Ausgabe der TIERBEFREIUNG selbst vorstellen, festzuhalten bleibt aber schon jetzt, dass er mit seinen Forderungen weit über die Festlegungen der Vegan-Definition hinausgeht.

Im Hinblick auf die Ausgangsfragen nach Definition, Anspruch und Realität des Veganismus soll zunächst trotz aller Kritik anerkannt werden, dass sich der VEBU für eine rechtsverbindliche Vegan-Definition stark gemacht und diese erreicht hat. Dennoch ist die heutige, rechtsverbindliche Vegan-Definition weit von der ursprünglichen Idee des (politischen) Veganismus entfernt. In ihrem Memorandum von 1979 definierte die britische Vegan Society Veganismus als „Philosophie und Lebensart“ und meinte damit sehr viel mehr als die reine Freiheit von tierlichen Bestandteilen in Lebensmitteln. Stattdessen ging es in dieser Definition um den Versuch, „alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeit an Tieren für Essen, Kleidung oder andere Zwecke zu vermeiden und darüber hinaus die Entwicklung und Nutzung tierfreier Alternativen zum Vorteil von Menschen, Tieren und der Umwelt zu fördern“. [20] Dies deutet auch auf notwendige Änderungen in der landwirtschaftlichen Praxis hin. Die Arbeit des neu entstandenen Anbauvereins soll deshalb an dieser Stelle ebenso anerkannt werden – als ein Schritt in die richtige Richtung, ein hilfreiches Instrument im jetzigen System. Dennoch bleibt zu hoffen, dass Veganismus wieder eine politische Kampfansage wird und kein Lifestyle-Trend bleibt, auf den jede*r (und zwar wirklich jede*r, wenn wir uns an die oben genannten Beispiele der Fleischproduzent*innen zurückerinnern) aufspringen kann, um Profite maximieren und von Ausbeutung profitieren zu können. Denn selbst wenn die Ausbeutung der Tiere bei der Produktion veganer Alternativprodukte verhindert würde, werden die Arbeiter*innen ebenso wie die Umwelt oftmals weiter ausgebeutet. Befreiung hört nicht beim Menschen auf, sie sollte andersherum aber auch nicht bei den Tieren aufhören. Für ein soziales und ökologisches Leben in einer befreiten Gesellschaft braucht es daher mehr als nur rechtsverbindliche Vegan-Definitionen, Lifestyle-Veganismus ohne politischen Anspruch und eine Vielzahl veganer Produkte. Auch die aktive Ablehnung anderer Diskriminierungsformen muss immer wieder eingefordert werden. [21]

In diesem Sinne: Für die Befreiung von Mensch UND Tier – gegen ein kapitalistisches Ausbeutungssystem, Lifestyle-Veganismus und Vegan-Labels.

Text: Ulrike Schwerdtner
aus: Tierbefreiung 95 / Juni 2017 (pdf öffnen)
Beitragsbild: Hungry Lens

 

[1] Auf eine ganze Reihe von Fleischproduzent*innen, die mittlerweile auch vegane Produkte in ihr Sortiment aufgenommen haben, verwies Ina Schmitt in ihrem Beitrag zum Titelthema der TIERBEFREIUNG 94 (S. 8–11).
[2] Es war angedacht, dieses Ziel bereits Ende 2016 zu erreichen – es fehlen allerdings Angaben, wie hoch der Anteil veganer und vegetarischer Produkte am Sortiment mittlerweile ist: www.bit.ly/2bgRmZ0 (ruegenwalder.de)
[3] www.taz.de/!5230604/ und www.taz.de/!5267949/
[4] www.tierschutzlabel.info/tierschutzlabel/
[5] www.lord-of-tofu.de/de/home.html
[6] www.lebensmittel-fortschritt.de/vegan-definition
[7] www.bit.ly/2bpUdjC (verbraucherschutzministerkonferenz.de)
[8] www.bit.ly/2aS8kv0
(verbraucherschutzministerkonferenz.de), Absatz 1.
[9] www.lebensmittel-fortschritt.de/vegan-definition
[10] An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich die Definition auch nur auf Lebensmittel, nicht aber auf Kosmetika oder andere Produkte bezieht, für die eine Vegan-Definition ebenfalls vonnöten wäre.
[11] www.bit.ly/2aS8kv0
(verbraucherschutzministerkonferenz.de), Absatz 3.
[12] www.bit.ly/2bqDv2y
(verbraucherschutzministerkonferenz.de)
[13] www.bit.ly/2ig6ADt (vebu.de)
[14] Artikel 2 in:
www.bfr.bund.de/cm/343/2002_178_de_efsa.pdf
[15] www.bit.ly/2aLv70w (vegpool.de)
[16] www.taz.de/!5035762/
[17] www.bit.ly/2pONe9J (biovegan.org)
[18] www.biozyklisch-vegan.de/
[19] www.bit.ly/2of84BZ (youtube.com)
[20] übersetzt nach: www.bit.ly/1MAhU0S (vegansociety.com). Allerdings setzte sich die Vegan Society bereits in ihrer Satzung von 1950 das Ziel, „die Ausbeutung der Tiere durch den Menschen abzuschaffen“ und nahm damit eine Tierrechts-/ Tierbefreiungsposition ein, wie Günther Rogausch in der TIERBEFREIUNG 94 (S. 11–17) erörterte.
[21] An dieser Stelle sei auf den Beitrag von Mirjam Rebhan zum Titelthema in der TIERBEFREIUNG 94 (S. 18–20) verwiesen, der diese Forderung ebenfalls beinhaltete.