„Die GAP ist ein äußerst komplexes Konstrukt…“

„Die GAP ist ein äußerst komplexes Konstrukt…“

Nachdem wir uns dem Thema Subventionen von verschiedenen, meist theoretischen Blickwinkeln genähert haben, wollen wir nun auch einen Blick in die Praxis werfen. Welche Perspektiven haben Landwirt*innen auf Subventionen und die jetzige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union? Welche Änderungen würden sie sich wünschen, wenn die GAP für die Zeit nach 2020 reformiert wird? Daniel vom Biohof Hausmann hat sich bereit erklärt, in einem Interview seine Sicht der Dinge zu schildern.

Frage: Stell dich und deinen Hof bitte zunächst kurz vor.

Ich bin der Daniel, mittlerweile 28 Jahre alt, auf dem Familienbetrieb aufgewachsen und habe ihn 2012 von meinem Vater übernommen. Damals war der Hof noch konventionell, es wurden Getreide angebaut sowie Rinder gehalten. Im selben Jahr haben wir die Rinder jedoch verkauft, eher aus arbeitswirtschaftlichen Gründen. Denn ich habe in Eberswalde Ökolandbau und Vermarktung studiert und einfach keine Zeit gehabt, mich um die Tiere zu kümmern.

Während des Studiums bin ich dann selber zum Veganer geworden. Wieder zu Hause angekommen, macht es dann natürlich keinen Sinn, neue „Nutztiere“ anzuschaffen. Und so war die bio-vegane Landwirtschaft eigentlich die einzige Form der Landwirtschaft, die ich selber auch vertreten kann und machen möchte. Deswegen wurde der Hof 2014 auf Öko umgestellt und seit 2016 bauen wir Gemüse an. Und das ganz ohne tierische Erzeugnisse wie Dünger, et cetera. Das Gemüse verteilen wir wöchentlich in Abokisten im nahegelegenen Leipzig.

Inwiefern sind Subventionen ein Thema für dich?

Beim Getreideanbau spielen die Direktbeihilfen eine sehr große Rolle und machen teilweise bis zu 50 Prozent vom Gewinn aus. Beim Gemüse ist der Umsatz pro Fläche um ein Vielfaches höher. Da spielen die Direktbeihilfen eine eher untergeordnete Rolle.

Ansonsten gibt es auch noch eine Reihe an indirekten Subventionen. Da gibt es oft Mindestinvestitionssummen. Da fallen wir als kleiner Betrieb meist von vornherein raus.

Wie genau funktioniert die GAP in der Praxis?

Die GAP ist ein äußerst komplexes Konstrukt, was der/die einzelne Landwirt_in meist nicht komplett durchschaut. Ich selber tatsächlich auch nicht. Grob wird es in zwei Säulen aufgeteilt: Einerseits die erste Säule mit den Direktbeihilfen. Da wird pro Hektar (Flächeneinheit) eine bestimmte Summe an Geld ausgeschüttet, relativ unabhängig davon, was auf der Fläche angebaut wird. Große Betriebe mit viel Fläche bekommen da natürlich mehr. Kleine Betriebe mit wenig Fläche bekommen entsprechend weniger. Auf der anderen Seite gibt es die zweite, weitaus kleinere Säule. Diese hält Geld für Umweltmaßnahmen und ländliche Entwicklung bereit, wie zum Beispiel die Förderung des Ökolandbaus.

Das Ganze ist dann noch abhängig von dem Land innerhalb der EU beziehungsweise in Deutschland auch abhängig von dem jeweiligen Bundesland. Manche Gelder werden komplett von der EU finanziert. Andere werden vom Land beziehungsweise vom Bundesland oder von beiden kofinanziert und sind entsprechend auch abhängig von der Finanzkraft oder dem politischen Willen der entsprechenden Region und Regierung.

Wie hoch ist der bürokratische Aufwand verglichen mit dem letztendlichen „Nutzen“?

Der bürokratische Aufwand für die Menge an Geld für die Direkthilfen ist verglichen mit der Menge an Geld für den Aufwand des Anbaus erstmal ziemlich gering. Der bürokratische Aufwand für Beihilfen aus der zweiten Säule, also die Fördermittel für Umweltschutz und ländliche Entwicklung, ist meist ziemlich hoch und unabhängig von der geförderten Summe fast derselbe. Deswegen lohnt es sich für kleinere Betriebe, die kleinere Summen beantragen, oft nicht, den Aufwand überhaupt anzugehen.

Ein weiteres Problem ist, dass es eine Vielzahl an verschiedenen kleinen Förderungen gibt. Die meisten sind nur befristet antragsfähig. Die wenigsten Landwirt_innen sind über jede einzelne Fördermaßnahme beziehungsweise deren Fristen informiert. Dadurch geht sehr viel Potential verloren und das betrifft vor allem Maßnahmen in Sachen Umweltschutz, wie beispielsweise das Pflanzen einer Hecke.

Hast du das Gefühl, dass viele Landwirt*innen nur das anbauen, was subventioniert wird, weil sie sich sonst nicht über Wasser halten können? Ist das bei dir auch so?

Dadurch, dass die Fläche subventioniert wird und nicht die Kultur, ist es vor allem für große Betriebe oft verlockend, möglichst Kulturen anzubauen, die wenig Aufwand mit sich bringen, trotzdem aber einen gewissen Ertrag erzeugen. Anders gesagt, gibt es kaum einen Anreiz, etwas Besonderes mit viel Aufwand anzubauen, wenn nicht gerade der Gewinn viel höher wäre. Bei uns in Deutschland ist es zum Beispiel sehr lukrativ, auf großen Flächen mit großen Maschinen und wenigen Kulturen zu produzieren. Solange Umweltschutz nicht extra honoriert wird, gibt es kaum Anreize, ihn zu betreiben.

Als Folge dieser auf Fläche betonten Subventionspolitik sind landwirtschaftliche Betriebe oft dazu gezwungen, zu wachsen oder zu weichen. Deswegen werden die bestehenden Betriebe immer größer und immer mehr Land und Kapital befinden sich in immer weniger Händen.
In der Produktion wird immer mehr auf Quantität anstatt Qualität gesetzt. So werden Flächen immer größer und Tieranlagen immer weiter ausgebaut. Auf der Strecke bleibt dabei meist die Umwelt beziehungsweise das Wohl der Tiere.

Durch die aktuelle Subventionspolitik werden kleine, flächenarme Betriebe systematisch benachteiligt; sie ist hauptverantwortlich für das Höfesterben und den Ausbau der sogenannten Nutztierhaltung zu immer effizienteren Tierfabriken im immer größeren Ausmaß. Wir als kleiner Betrieb sind darauf angewiesen, Kulturen anzubauen, die auf geringer Fläche viel Umsatz bringen. So machen wir uns auch unabhängiger von den Subventionen.

Die Landwirtschaft steht wegen ihrer Umweltauswirkungen immer wieder in der Kritik. Inwiefern werden denn Landwirt*innen durch die jetzige GAP dazu angehalten oder dabei unterstützt, verstärkt Maßnahmen für Umwelt- und Klimaschutz umzusetzen?

Eine Neuerung der letzten GAP-Reform war zum Beispiel das sogenannte Greening. So müssen Landwirt_innen bestimmte ökologische Vorrangflächen bereithalten. Die Idee war erstmal gut, wurde aber im Verlauf der Verhandlungen vom Greening eher zum Greenwashing. So ist in dieser Berechnung ein Hektar biologisch wertvolle Hecke genau so viel „wert“ wie zwei Hektar Zwischenfrucht, die dann oft nach wenigen Wochen mit Pestiziden wieder entfernt wird. Eine andere Möglichkeit ist das Brachliegenlassen, also das Nichtbewirtschaften einer Fläche. Dort bildet sich oft Unkraut, was dann wieder mit einem Totalherbizid wie Glyphosat behandelt wird, um danach wieder eine Getreide-Monokultur anzubauen. Auch gibt es eine Vielzahl an neuen Regeln, beispielsweise in Sachen Nitrat. Zu dokumentierende Werte sind oft aber nur geschätzt und Kontrollen finden nur stichprobenartig statt.

Kurzgefasst: Offiziell sind Landwirt_innen dazu angehalten, mehr für Umwelt und Klima zu tun. In der Praxis gibt es aber einige Schlupflöcher.

Du gehörst ja zu den wenigen Höfen in Deutschland, die nicht nur ökologisch, sondern auch vegan wirtschaften. Damit verminderst du nicht nur Tierausbeutung, sondern trägst auch zu Klima-, Boden- und Gewässerschutz bei. Wird das bei Subventionen berücksichtigt und honoriert?

Wie in der Frage schon angemerkt wird, gibt es nur wenige Höfe, die bio-vegan wirtschaften. Die EU-Agrarpolitik ist aber ein allgemeines Regelwerk, das von Schweden bis Griechenland und von Frankreich bis Rumänien gelten muss. Es durchquert verschiedene Klimazonen und unterschiedliche Wirtschaftsregionen. So sind kleine Ausnahmen schwierig zu berücksichtigen. Wir bekommen die normale Ökoförderung, eine Förderung für vegane Landwirtschaft gibt es nicht.

Nun soll die GAP für die Zeit nach 2020 reformiert werden. Bei umfangreichen Änderungen könnte das die Landwirtschaft stark verändern. Welche Landwirtschaft würdest du dir denn für die Zukunft wünschen?

Ich würde mir auf alle Fälle eine Landwirtschaft wünschen, die ohne Tierausbeutung und sogenannte „Nutztierhaltung“ auskommt und zugleich die ökologische Vielfalt fördert und sogar steigert. Und das bei fairen Arbeitsbedingen zu gerechten Preisen.

Leider kann mit, vor allem aber an der Landwirtschaft sehr viel Geld verdient werden. Deswegen sind verschiedenste Lobbygruppen dabei, die Politik in eine bestimmte Richtung zu lenken und möglichst Strukturen so zu belassen, wie sie bereits seit Jahrzehnten existieren.

Größtes Problem ist dabei die Verflechtung von Politik, Landwirtschaft, Landwirtschaftsverbänden, vor- und nachgelagerten Bereichen. Nicht selten übt eine Person Ämter in mehreren der genannten (sich von den Interessen her eigentlich widersprechenden) Bereiche aus. So können Vorteile ausgespielt und Marktmechanismen ausgehebelt werden.

Und wie müsste die GAP verändert werden, um dies zu erreichen?

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Dafür müssten wir zuerst weg von der Flächenförderung hin zu einer ergebnisorientierten Förderpolitik, die zeitgleich auch Bürokratie abbaut. Sehr viele Sachen sind über Jahre gewachsen und mit jedem Jahr und jeder Sonderregelung komplizierter geworden. Schon längst ist es überfällig, diese Dinge zu vereinfachen und für jede_n verständlich zu machen!

Um eine gerechte Agrarpolitik zu bekommen, die Klima schützt, Tierausbeutung minimiert und fair zu allen Beteiligten ist, reicht es jedoch nicht, die GAP zu verändern. Dafür brauchen wir einen radikalen Umbruch und müssen sie komplett neu aufstellen.

Prioritäten müssen neu gesetzt werden. Personen dürfen nicht mehr zeitgleich in sich widersprechenden Posten sitzen. Die Bürger_innen sollten von Anfang an mehr in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Denn wenn am Ende die Artenvielfalt zusammenbricht und das Klima kollabiert, dann ist die ganze Gesellschaft betroffen und nicht nur einzelne Entscheidungsträger_innen.

Welche Forderungen sollten Aktivist*innen deiner Meinung nach auf die Straße tragen, wenn sie sich den Themen Subventionen und GAP-Reform widmen wollen?

Die Agrarpolitik ist ein sehr komplexes Thema, was betroffene Personen oft schon nicht verstehen. Deswegen ist es sinnvoll, nicht nur Forderungen zu stellen, sondern gleichzeitig realistische Lösungsansätze zu bieten. So ist es beispielsweise wenig praktikabel, einfach nur die Abschaffung der sogenannten „Nutztierhaltung“ zu fordern, ohne den betreffenden Landwirt_innen Möglichkeiten, Anreize oder Subventionen zu bieten, um alternative Einkommensquellen zu schaffen.

Weiterhin ist es längst überfällig, den Mehrwertsteuersatz für tierische (offensichtlich klimaschädliche) Produkte von 7 Prozent auf 19 Prozent zu erhöhen und gleichzeitig den der pflanzlichen (offensichtlich klimafreundlicheren) Alternativen von 19 Prozent auf 7 Prozent zu senken!

Aus der Landwirtschaft ausgelagerte Kosten, wie zum Beispiel das Herausreinigen von Nitrat aus dem Trinkwasser, müssen endlich vom Verursacher, also den entsprechenden Landwirt_innen getragen werden und nicht von der Gesellschaft. Das würde nebenbei den Preis tierischer Produkte im Vergleich zu pflanzlichen Alternativen weiter erhöhen.

Generell sollte die sogenannte „Nutztierhaltung“ gar nicht mehr subventioniert werden, da sie neben den fraglichen ethischen Aspekten maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich ist!

Nebenbei sollte es Beihilfen für Landwirt_innen geben, die aus der Tierhaltung aussteigen und sich nebenbei alternative Einkommensquellen schaffen wollen. Denn tatsächlich gibt es einige tierhaltende Landwirt_innen, die gern aussteigen wollen, es wegen laufender Kredite oder Subventionsverpflichtungen aber nicht können. So kann beispielsweise der Umbau von einem Rinderstall hin zu einem Getreide- oder Gemüselager gefördert werden.

Gibt es sonst noch etwas, das du den Leser*innen der TIERBEFREIUNG mitteilen möchtest?

Förderungen und Subventionen haben immer den Nachteil, dass sie den Markt verzerren und meist nicht das bewirken, was sie bewirken sollten. In Europa brauchen wir sie, da landwirtschaftliche Güter zum Weltmarktpreis gehandelt werden und wir mit unseren hohen Löhnen sonst nicht wettbewerbsfähig bleiben können. So sehr die Subventionen uns Europäer_innen helfen, so sehr können sie die Landwirtschaft in Ländern der Dritten Welt aber auch zerstören.

Genauso wichtig, oder viel wichtiger ist es, Aufklärung zu betreiben, sodass die Menschen beim Einkauf entscheiden können, welche Form der Landwirtschaft sie bewusst unterstützen. Denn auch für uns würde es wenig Sinn machen, bio-vegan angebautes Gemüse überhaupt anzubauen, wenn es am Ende nicht gekauft wird. Denn im Endeffekt entscheiden immer die Verbrauchenden, was gekauft und damit auch angebaut wird.

Doch dazu ist eine entsprechende Politik notwendig: Denn solange durch die aktuelle Politik Kosten der tierausbeutenden Landwirtschaft ausgelagert werden (Stichwort Nitratverunreinigung durch Gülle), solange gibt es auch Preisverzerrungen und umweltzerstörende Produkte erscheinen günstiger als umwelterhaltende! Das verändert das Kaufverhalten enorm.

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Daniel Hausmann / Ulrike Schwerdtner
aus: Tierbefreiung 105 / Dezember 2019
Beitragsbild: Blick über den Biohof Hausmann / Ulrike Schwerdtner