Gemeinsam (digital) gegen die Tierindustrie

Gemeinsam (digital) gegen die Tierindustrie

Wie Corona die Bündnisarbeit verändert

Trotz der Corona-bedingten Absage der für Juni 2020 geplanten Massenaktion mit Camp „PHW ade“ bleibt das Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“ weiter aktiv. Neue digitale Formate, sowohl auf Aktionsformen als auch auf Informationsverbreitung bezogen, werden aktuell konzipiert und erprobt. Die für dieses Jahr geplante Aktion in Niedersachsen soll im nächsten Jahr nachgeholt werden.

Ein neues Bündnis gründet und einigt sich

Nach einer initiierenden Aktionskonferenz im Juli 2019 und weiteren Treffen in den folgenden Monaten kündigte das neu gegründete Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie für Juni 2020 eine Massenaktion mit Aktionscamp unter dem Motto „PHW ade“ an. Vom 13. bis 20. Juni 2020 sollte in Rechterfeld bei Vechta in Niedersachsen einerseits kraftvoll und massenhaft gegen den Geflügelkonzern PHW (unter anderem Wiesenhof) protestiert werden und andererseits mit einem gleichzeitig stattfindenden Camp Raum zum Austausch und für Diskussionen rund um die Tierindustrie und ihre Auswirkungen geschaffen werden.

Vorausgegangen waren dieser Entscheidung einige inhaltliche und strategische Diskussionen, die hier nur kurz angerissen werden sollen:

  • Welchen Teil der Tierindustrie wollen wir mit unserer ersten Aktion angreifen und thematisieren: Die großen Fleischkonzerne, Mastanlagen, Schlachtfabriken? Zuchtunternehmen oder Dienstleister im Bereich Tierproduktion? Fachverbände oder Lobbyorganisationen und deren Veranstaltungen? (Fach-)Messen, den Einzelhandel oder gar die Endverbraucher*innen mit ihrem Konsum?
  • Welche Aktionsform halten wir hierfür für angemessen und auch realistisch von uns zu organisieren: eine Besetzung oder Verhinderung einer im Bau befindlichen Tierproduktionsanlage? Eine (Massen-)Blockade einer Veranstaltung oder Tierproduktionsanlage? Eine Großdemo, Aktionstage oder dezentral koordinierte Aktionen?
  • Wie wollen wir als Bündnis insgesamt agieren: Zuerst eine breite inhaltlich-strategische Ausrichtung entwickeln und daraufhin dann unsere Aktionsform und unser Protestziel nach dieser ausrichten? Uns erstmal gemeinsam auf eine Aktion mit Zielen und Forderungen verständigen, dazu aktiv werden und dabei im inhaltlichen und strategischen Austausch entscheiden, ob und wie eine weitere Zusammenarbeit aussehen kann? Nur aktionsstrategisch zusammenarbeiten trotz unterschiedlicher inhaltlicher Forderungen und Herangehensweisen für gesellschaftlichen Wandel?
  • Wer ist Teil des Bündnisses und was sind unsere konkreten Forderungen? Wie ist das Selbstverständnis? Was sind „No-Gos“, die wir im Bündnis nicht dulden wollen?

Nach teilweise kontroversen Diskussionen wurde dann entschieden: Wir wollen als Bündnis als erste gemeinsame Aktion eine Massenaktion und ein gleichzeitig stattfindendes Camp beim Hauptsitz von PHW organisieren! Diese sehen wir als Ausgangspunkt für eine kontinuierliche Zusammenarbeit als Bündnis. Voller Tatendrang bildeten sich schnell zahlreiche AGs und die konkrete Vorbereitung der Aktion nahm ihren Anfang.

Bündnisstrukturen, Netzwerkarbeit und Mobilisierung

Die Planung war schnell in vollen Zügen: Grundlegende Strukturen wie die Vorbereitung der Aktion und des Camps – inklusive Logistik, Programm und gemeinsames Leben auf dem Camp –, die Sicherstellung von Antirepressions- und Pressearbeit, aber auch Hintergrundarbeiten wie die Bereitstellung von Finanzen, das Organisieren des Gesamt-Bündnisprozesses, wie auch die Planung der Bündnistreffen wurde von den AGs eigenverantwortlich übernommen und auf den folgenden circa monatlich stattfindenden persönlichen Bündnistreffen koordiniert und zusammengetragen.

Und auch die Mobilisierung startete voller Elan: Lokale Initiativen und Akteur*innen, wie Arbeitsrechtsinitiativen und Tierrechtsgruppen, sowie Bürger*inneninitiativen und ökologisch orientierte Landwirt*innen in der Region wurden kontaktiert und eingeladen, sich am Bündnisprozess, an der Planung und Durchführung sowie an der Mobilisierung zu beteiligen. In Kooperation mit Gruppen aus verschiedenen sozialen Bewegungen, insbesondere der Klimagerechtigkeits- und Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung wurden Mobi-Veranstaltungen geplant und durchgeführt, inhaltliche Beiträge bei Treffen und Konferenzen angeboten und in Bewegungsmedien und -kanälen das Bündnis sowie dessen Forderungen und Ziele bekannt gemacht und beworben. Nicht zuletzt wurde auch der Schulterschluss mit anderen progressiven Bündnissen und Initiativen gesucht, sei es, indem Aufrufe und Forderungen anderer Gruppen vom Bündnis unterstützt und beworben wurden, sei es durch das Herantreten an Gruppen und Strukturen mit der Einladung, die Aktion des Bündnisses zu unterstützen, mit vorzubereiten, sich auf dem Camp einzubringen oder anderweitige Beteiligung zu ermöglichen.

Corona – und nun?

Doch dann kam die globale Corona-Pandemie dazwischen und machte dem Bündnis einen Strich durch die Rechnung. Schweren Herzens wurde Mitte März entschieden, die Planungen für das Camp und die Aktion im Juni vorerst einzustellen, aber diese im nächsten Jahr wieder aufzunehmen. Doch das Bündnis stand ja gerade vor seiner ersten gemeinsamen Aktion, die sowohl „Testlauf“ als auch Grundlage einer weiteren Zusammenarbeit sein sollte. Es stellte sich somit einerseits die Frage, wie der begonnene gemeinsame Prozess sowie die bereits geschaffenen Strukturen und Netzwerke gut aufrechterhalten und genutzt werden können. Andererseits war und ist auch zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels völlig unklar, wie sich politischer Aktivismus in Zeiten der Corona-Pandemie ausgestalten kann. In zahlreichen Telefonkonferenzen, die nun auch noch AG-übergreifend stattfanden, rauchten die Köpfe und wurde darüber debattiert, ob und vor allem wie das Bündnis weiter aktiv bleiben kann und soll. Das erste Bündnistreffen nach den Kontakteinschränkungen fand über zwei Tage mit mehr als 30 Teilnehmenden komplett digital statt und auch das folgende Bündnistreffen wurde virtuell durchgeführt.

Bei den Treffen wurde schnell deutlich, dass es viele Menschen gibt, die auch ohne diese zeitnah stattfindende gemeinsame Aktion innerhalb des Bündnisses aktiv bleiben wollen. Die größte Schwierigkeit bereitet die Unsicherheit, welche konkrete Aktionsalternativen am Ort des Geschehens der Tierindustrie wann möglich sein werden. Es wäre frustrierend, nun ein (anderes) Projekt für den Herbst ins Auge zu fassen und dort viel Arbeit in die Vorbereitung zu investieren, wenn dieses dann wieder aufgrund der Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie nicht stattfinden könnte. Somit fokussiert sich die aktuelle Planung erstmal auf digitale Aktions- und Kommunikationsformen und andere mögliche Bündnisproteste, wie beispielsweise gegen die Eurotier-Messe, wurden zurückgestellt, bis es mehr Informationen hierzu gibt.

Recht konkrete Planungen hingegen gibt es bereits zu digitalen Informationsformaten. So gibt es beispielweise die Idee für einen Watchblog, der die Tierindustrie und hier insbesondere das Unternehmen PHW mit kritischer Öffentlichkeit begleiten will. Auch die Idee, mit einem Podcast die Arbeit, Ideen und Recherchen des Bündnisses weiterzuentwickeln und zu verbreiten, fand großen Anklang. Zudem soll die „aktionsarme“ Zeit genutzt werden, mehr Hintergrundinformationen zu verschiedenen Themen zu sammeln und bereitzustellen. Diese sollen insbesondere auch den Zusammenhang von Pandemien zur Tierindustrie bzw. die Auswirkungen der Verbreitung des neuen Corona-Virus auf die Tierindustrie beleuchten. Und auch die oben beschriebene Netzwerkarbeit mit anderen Initiativen und Akteur*innen soll gesichert und aufrechterhalten werden, was insbesondere über soziale Medien, aber auch durch Teilnahme des Bündnisses an (digitalen) Treffen, Telefonkonferenzen und Aktionen anderer Zusammenhänge gewährleistet wird.

Herausforderungen meistern – Aktiv bleiben!

Natürlich hat all dies Grenzen und Herausforderungen: Es wurde deutlich, dass die ausschließlich digitale Form des Aktivismus vielen Aktiven weder ins politische Selbstverständnis und die strategische Ausrichtung des eigenen Aktivismus‘ passt, als auch der eigenen Motivation nicht förderlich ist, da diese oft darauf beruht mit anderen aktiv zu werden und in der Öffentlichkeit sichtbare Aktionen, unter anderem am Ort des Geschehens durchzuführen. Viele Aktivist*innen sehen die aktuelle Situation aber dennoch auch als Chance, neue oder andere Wege zu gehen und das eigene Aktionsrepertoire zu erweitern. Die aktuelle Notwendigkeit, sich mehr mit digitalen Tools, Online-Kommunikation und überregionaler Zusammenarbeit ohne den persönlichen Kontakt auseinanderzusetzen, wird sicherlich auch in Zukunft von großem Nutzen sein. In diesem Sinne rufen wir weiterhin dazu auf, aktiv zu bleiben gegen die Tierindustrie und laden euch ein, euch im Bündnis zu beteiligen!

 

Aufruf zum Mitmachen:

Das Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie freut sich auch weiterhin über neue Gesichter, die sich aktiv einbringen möchten! Auch wenn vorerst persönliche Treffen nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden können, gibt es viele Möglichkeiten, sich zum Beispiel online in die Arbeit des Bündnisses und insbesondere die Entwicklung und Durchführung der vorgestellten Projekte einzubringen. Für die Einbindung komplett neuer Aktiver hat das Bündnis ein Konzept mit persönlicher Begleitung entwickelt, das einen reibungsfreien Einstieg ermöglichen soll.

Schreibt, egal ob als Gruppe oder als Einzelperson, bei Interesse sehr gerne eine Mail an mail[a im Kreis]gemeinsam-gegen-die-tierindustrie.de.

 

Text: Franziska vom Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“
aus: Tierbefreiung 107 / Juni 2020
Beitragsbilder: (1) Wir sind Hoffnung – Schließ dich an!; (2) Leider musste das Aktionscamp wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden; (3) Massenaktionen sind auch online möglich