Geschichte von Protest und Widerstand gegen die Geflügelindustrie

Geschichte von Protest und Widerstand gegen die Geflügelindustrie

Das Titelthema der letzten Ausgabe dieses Magazins (106) beschäftigte sich ausführlich mit der Geschichte der Tierbefreiungsbewegung. Darin wurde die Geschichte grob in zwei Phasen eingeteilt: eine erste Phase, beginnend mit der Entwicklung der Tierschutzidee Ende des 18. Jahrhunderts, sowie eine zweite Phase, etwa ab den 1980er-Jahren, in der eine Radikalisierung stattfindet und direktere Aktionen angewendet werden – etwa die erste dokumentierte Tierbefreiungsaktion im Jahr 1981.

Anschließend an das Titelthema des letzten Hefts und passend zu diesem Titelthema möchten wir mit diesem Artikel einen tieferen Blick in die Geschichte von Protest und Widerstand gegen die Geflügelindustrie werfen. Diese Geschichte ist wahrscheinlich so alt wie die Geflügelindustrie selbst und neben der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung gibt es natürlich auch viele weitere, die sich gegen die Geflügelindustrie einsetzen: Menschen im globalen Süden, die sich unter anderem gegen Landgrabbing zwecks Futtermittelanbau zur Wehr setzen; Bürger*innen-Initiativen, die unter anderem gegen Gestank, Verkehrsaufkommen und gesundheitliche Risiken der Industrieanlagen aktiv sind; Umweltschutzgruppen, die sich gegen die massiven ökologischen Folgen einsetzen, etwa die Wasserverschmutzung; und Arbeiter*innen, die für bessere Arbeitsbedingungen in den Schlachthäusern und in der Gastronomie kämpfen.

In diesem Artikel legen wir den Fokus auf die Geschichte von Tierbefreiungs-Aktionen in Deutschland und beschränken uns dabei auf die zweite Bewegungs-Phase: die Zeit von den 1980er-Jahren bis zur Gegenwart. Dabei erheben wir natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gerne könnt ihr zum Beispiel per Leser*innenbrief weitere Berichte ergänzen.

Die ersten Tierbefreiungsaktionen in den 1980er-Jahren

Die erste direkte Aktion im Zusammenhang mit der Geflügelindustrie, auf die wir bei unserer Recherche gestoßen sind, erfolgte im Jahr 1984: In Sommerkahl bei Aschaffenburg befreiten Aktivist*innen der Aktionsgruppe „Weiße Wiese“ Hühner aus einer Legehennenfabrik. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten kommt es immer wieder zu Tierbefreiungen von Vögeln aus der Geflügelindustrie, da fehlende Tiere in der Masse nicht auffallen, die vergleichsweise kleinen Tiere leicht zu transportieren sind, nicht registriert werden müssen und in Lebenshöfen verglichen mit anderen Tieren weniger anspruchsvoll sind.

Während uns über diese frühe Aktion nicht allzu viele Details vorliegen, ist eine Aktion aus dem Jahr 1986 sehr gut dokumentiert: Die Tierbefreier riefen am 22. Juni zu einer „Begehung und Inspektion eines teilweise öffentlichen Geländes einer tierquälerischen Anstalt“ in Aschaffenburg auf. Während die Polizei als Ziel ein Tierversuchslabor vermutete und bewachte, machte sich ein Autocorso mit 200 Aktivist*innen auf den Weg zu einer Hühnerfarm, die kurzerhand besetzt wurde. Die Tierbefreier erstatteten Anzeige und forderten die Staatsanwaltschaft sowie den ortsansässigen katholischen Gemeindepfarrer telefonisch auf, die Zustände im Innern der Anlage sofort zu untersuchen. Natürlich kam niemand dieser Aufforderung nach…

Und auch in den Folgejahren wurden vielfältige Aktionsformen gegen die Geflügelindustrie durchgeführt. Am 10. Oktober 1987 etwa wurden von der Aktionsgruppe „Vogelfrei“ in Coesfeld und Heide aus Fasanerien Rebhühner und Fasane befreit. Fünf Tage später, am 15. Oktober, wurden in mehreren McDonalds-Filialen in Hamburg die Kloschüsseln zu zementiert! Und bei einer Sabotageaktion am 30. Januar 1988 in Bad Segeberg wurde eine Hühnermastanlage so stark beschädigt, dass es zu einem Sachschaden von 10.000 Mark kam.

1990er-Jahre: Pohlmann, und immer wieder McDonalds

Auch in den folgenden Jahren war McDonalds immer wieder das Ziel von Aktionen aus der Tierbefreiungs-Bewegung. So erlebte eine McDonalds-Filiale 1992 – wieder in Hamburg – unter Beobachtung zahlreicher Kameras und Fotograf*innen „die Rückkehr des verreckten Huhns“. Mit dieser Parole luden Aktivst*innen des Bundesverbands der Tierbefreier und von Tierschutz-Aktiv-Nord 70 tote Hühner vor dem Eingang ab. So mussten Kund*innen nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz real über Leichen zu ihren Burgern und Nuggets gehen. Und auch andere Standorte von McDonalds wurden das Ziel von Aktionen: 1994 etwa wurden Filialen in Ulm und Hamburg besprüht und beschädigt. Und am 15. April 1995 gab es eine weitere Zement-Aktion: Die Gruppe „Chicken MCHappy“ zementierte die Toiletten einer Filiale in München.

Ein weiterer Akteur, den die Bewegung in den 1990er-Jahren ins Visier nahm, war der sogenannte „Eierbaron“ Anton Pohlmann. Er galt als der größte Eierlieferant Europas und hielt sieben Millionen Hennen in mehr als 20 deutschen Legebatterien und noch einmal circa 15 Millionen in Amerika. Und er war seit 1970 im Zusammenhang mit seinen Geschäften zu mehr als zehn Vorstrafen verurteilt worden.

1994 fanden Proteste vom Bundesverband der Tierbefreier, der TAN und der Veganen Offensive Ruhrgebiet zur Einweihung eines Eierproduktewerks von Pohlmann in Neuenkirchen/Vörden in Niedersachsen statt. In der Nacht zuvor hatten Aktivist*innen 120 tote Hühner aus den Kadavertonnen eines Pohlmann-Betriebs geholt und warfen sie, trotz Polizeipräsenz, vor Beginn der Einweihung auf die Zufahrt zum neuen Werk, kippten literweise Theaterblut dazu und verteilten den Inhalt von 20 Federbetten auf dem Gelände. Nachdem Besucher*innen „mit ihren Nobelkarossen“ über die Leichen fuhren, legten die Aktivist*innen auf zahlreiche Kühlerhauben blutige Tierleichen. Das Programm im Festzelt wurde mit Sprechchören und Trillerpfeifen gestört, sodass die Reden kaum zu verstehen waren und die ersten Gäste nach einer Stunde wieder genervt abfuhren. Schließlich rückte die Bereitschaftspolizei aus Oldenburg an und räumte die öffentliche Straße vor dem Werk mit Gewalt, es folgten mehrere Festnahmen und Forderungen hoher Reinigungskosten des Geländes.

Und es folgten weitere Aktionen gegen Pohlmann: So brachen Aktivist*innen in die Legebatterien ein, um Tierquälereien aufzudecken und machten weitere Tierkörperaktionen und Demonstrationen. Eine Zelle der Tierbefreiungsfront verwandelte sogar fünf leerstehende Doppelhallen mit Brandsätzen in Schutt und Asche, wenige Tage nachdem Pohlmann den kompletten Bestand einer Hühnerfarm ermorden lassen hatte, weil die Tiere mit Salmonellen verseucht waren. Die Feuerwehr konnte nichts mehr retten; der Schaden belief sich auf 15 Millionen Mark, woraufhin eine Versicherung den Hühnerbaron hinauswarf. Die Aktivist*innen wollten mit der Brand-Aktion verhindern, dass dort in nächster Zeit die Möglichkeit besteht, weiterhin Legehennen systematisch auszubeuten. In einem Bekenner*innenschreiben hieß es: „Mit der von uns gewählten Aktionsform haben wir zum einen verhindert, daß dort in nächster Zeit die Möglichkeit besteht, mehrere Hunderttausend sogenannte Legehennen in einem Zeitraum von 12 bis 15 Monaten systematisch auszubeuten und ihres Lebens zu berauben. Zum anderen zeigt diese Aktion, daß durch gezielte ökonomische Sabotage die Tiermordindustrie erheblich getroffen wird.“ Und dies war nicht der einzige Brandanschlag.

Des Weiteren fanden auch Aktionen gegen Kund*innen von Pohlmann statt, unter anderem gab es Tierkörperaktionen vor Geschäften von Aldi, zu der Zeit Hauptabnehmerin Pohlmanns.

Den letzten Schlag versetzte Pohlmann ein ehemaliger Mitarbeiter, der öffentlich auspackte, dass Pohlmann ihn Hühner zwecks der Behandlung von Keimen mit einem giftigen Nikotin-Wasser-Gemisch bespritzen ließ. Letztlich landete Pohlmann dafür im Gefängnis und erhielt etwa zwei Jahre später ein Berufsverbot wegen Tierquälerei. Seinen Betrieb übernahm ein anderes Unternehmen, er selbst war anschließend noch Geschäftsführer von Firmen, die offiziell seinen Familienangehörigen gehörten. Auch betrieb er weiterhin Mastanlagen in den USA.

Daneben gab es noch einige weitere aufsehenerregende Aktionen der Tierbefreiungs-bewegung: Am 19. November 1994 wurden aus einer Legehennenfabrik bei Bakkum im Landkreis Vechta 60 Hühner befreit und Transportbänder sowie die Eiersortieranlage zerstört, was zu einem Schaden von 150.000 Mark führte. 1997 kam es zu einem weiteren Anschlag auf die Eierindustrie im Landkreis Vechta: Aktivist*innen der Tierbefreiungsfront drangen in die Packstation einer Legebatterie der Firma Flörke ein und zermatschten 400.000 Eier und beschädigten die Sortier- und Packmaschinen mit Buttersäure, wodurch ein Schaden von mindestens 200.000 Mark entstand. Und am 7. März 1998 wurde in Osterfeind eine leerstehende Kükenaufzucht niedergebrannt.

2000er-Jahre: Das Aktionsrepertoire etabliert sich

Während sich die deutsche Tierbefreiungsbewegung in den 2000er-Jahren überwiegend auf Internationale Kampagnen gegen Tierversuche und Pelz fokussierte, kam es auch weiterhin zu größeren Aktionen gegen Betriebe der Geflügelindustrie. Eingeleitet wurde das neue Jahrtausend mit einem Brandanschlag am 23. Januar auf eine Hühnermastanlage in Bremervörde. Knapp drei Monate später, am 16. April, brannten mehrere mit Eiern beladene LKW einer Hühnerfarm in Rietberg; es entstand ein Schaden von 200.000 Mark. Und in den folgenden Monaten wurden über hundert Hühner, Enten, Puten und Gänse in verschiedenen Betrieben in Süddeutschland befreit.

Im Jahr 2003 verübten Tierrechtler*innen einen Anschlag auf einen an eine Legebatterie angegliederten, direktvermarktenden Laden in Karlsruhe, wodurch der Laden zerstört wurde. Und auch in den 2000er-Jahren wurden wiederholt McDonalds-Filialen sabotiert und Eier in Hühnerfarmen zerstört, so zum Beispiel in Alpen-Veen und Berlin.

2010er-Jahre: Wandel hin zu bewegungsübergreifenden Bündnissen

In den 2010er-Jahren verlagerte sich das Aktionsfeld von der Eierindustrie hin zu den großen Geflügelfleischfirmen aus Niedersachsen. Zudem wurden Bündnisse mit Anwohner*innen von Orten, in denen große Betriebe gebaut werden sollten, sowie zu Akteur*innen anderer sozialer Bewegungen geschmiedet. Inhaltlich wurde nicht nur das mit der Tierindustrie verbundene Herrschaftsverhältnis gegenüber Tieren, sondern auch ökologische und andere soziale Fragen wie der Klimawandel und die Arbeitsbedingungen in den Schlachthäusern aufgegriffen.

In der Nacht auf den 24. Mai 2010 besetzen 30 „TierhaltungsgegnerInnen“ den Bauplatz von Europas größtem Geflügelschlachthof in Wietze bei Celle. Sie errichteten Tripods (drei-beinige Holztürme), Zelte, Hütten und Blockadevorrichtungen. Das Unternehmen Rothkötter plante, dort eine Schlachtfabrik, in der täglich 400.000 Hühner getötet werden können, zu bauen. Hierfür benötigte das zweitgrößte deutsche Geflügelfleischunternehmen 420 neue Mastanlagen in der Region. Mit der Aktion wollten die Aktivist*innen sich mit den bereits bestehenden Bürger*innen-Initiativen verbünden. In dem Statement, was noch am selben Morgen auf ihrer Homepage veröffentlicht wurde, gingen sie auf die Beweggründe und ihren bewegungsübergreifenden Ansatz ein. So verurteilen sie das in der Tierproduktion unvermeidliche Leid der Tiere, deren Beitrag zum Klimawandel, der für die Anwohner*innen belastende Gestank und andere negative Umweltauswirkungen wie Waldsterben, Feinstaubbelastung und die Zerstörung von Gewässern. Sie sprachen sich gegen jede Form der Tiernutzung und der Herrschaft aus und kritisierten den Kapitalismus. Die Aktionsform einer Platz- oder Feldbesetzung wurde unverkennbar aus anderen sozialen Bewegungen – wie der Anti-AKW-, der Anti-Gentechnik- und der damals noch sehr jungen Klima-Bewegung – übernommen. Die Besetzung zog ein großes Medienecho nach sich und der Ort diente vielen Aktivist*innen als Anlaufstelle und Ort des Austauschs und der Vernetzung. Die „Kampagne gegen Tierfabriken – Niedersachsen“ sieht in der drei Monate andauernden Aktion ihre Geburtsstunde.

In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August wurde eine fast fertiggestellte Mastanlage von der Animal Liberation Front angezündet. Die Mastanlage sollte einer der ersten Zulieferbetriebe für den Rothkötter-Schlachthof in Wietze werden. Die Polizei vermutete einen Zusammenhang mit der Besetzung und verdächtigte mehrere Personen, die sie zum Kreis der Besetzer*innen zählte. Es kam zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung, konfiszierten Socken und Schuhen sowie einer Hausdurchsuchung. Die Ermittlungen lieferten kein belastbares Material und wurden schlussendlich eingestellt.

Die Besetzung konnte knapp drei Monate gehalten werden und wurde am 10. August mit schwerem Gerät, einer Reiterstaffel, Klettereinheit und mehreren Hundertschaften der Polizei geräumt. Die Aktivist*innen machten es ihnen schwer und kletterten teilweise in die Spitzen der Tripods oder machten sich an Betonfässern fest. Zwei Aktivist*innen ketteten sich an einen Betonklotz, der sich in einem eingegrabenen Wohnwagen befand. Insgesamt dauerte die Räumung über zehn Stunden.

2011 konnte der Bau der Schlachtfabrik fertiggestellt werden. Allerdings fehlten ihr immer noch Zulieferbetriebe, so dass sie auch aus den Niederlanden und aus Dänemark beliefert werden musste.

Bis 2014 folgten weitere Besetzungen – diesmal gegen geplante Zulieferbetriebe –, Blockaden von Baufirmen und der Schlachtfabrik selbst, zahlreiche Demonstrationen sowie weitere Brandanschläge auf sich im Bau befindliche Mastanlagen. So konnten einige Landwirte dazu gebracht werden, von ihren Plänen, Mastanlagen zu bauen und zu betreiben, Abstand zu nehmen.

Nicht nur die Menge an direkten und öffentlichkeitswirksamen Aktionen, sondern auch verdeckte Rechercheaufnahmen in der Hühner-, Puten- und Entenmast machten Politiker*innen und den Geschäftsführern von Rothkötter und der PHW-Gruppe – zu der die Marke Wiesenhof gehört – das Leben schwer. So trat am 17. Dezember die niedersächsische Agrarministerin Astrid Grotelüschen zurück, nachdem Aufnahmen von toten, verletzten und kranken Mastputen aus ihren Anlagen veröffentlicht wurden. Im August 2011 sorgte die ARD-Dokumentation „Das System Wiesenhof – Wie ein Geflügelkonzern Menschen, Tiere und die Umwelt ausbeutet“, in der zahlreiche grausame Bilder aus Wiesenhof-Betrieben gezeigt wurden, für immenses Aufsehen. Unzählige Rechercheaufnahmen in Puten-, Enten- und Hühnermastanlagen, in Legehennenbetrieben und Elternaufzuchtbetrieben schafften es in überregionale Medien.

Motiviert durch die Proteste in Wietze, organisierten Tierrechtsaktivist*innen im bayrischen Schmähingen eine Kampagne gegen eine geplante Hühnermastanlage für die PHW-Gruppe. Sie organisierten Demos, Veranstaltungen, ein Camp und zusammen mit Umweltschutzverbänden ein Klageverfahren gegen den geplanten Bau. Zwar schafften sie es, den Bauplan deutlich nach hinten zu schieben, verhindern konnten sie das Vorhaben aber nicht. Dass die Anlage 2013 deutlich kleiner als ursprünglich geplant in Betrieb gehen konnte, war lediglich ein schwacher Trost für die Aktivist*innen.

Aus dem Zusammenhang entstand das Süddeutsche Aktionsbündnis Mastanlagen Widerstand, was am 9. März mit einer größeren Blockade gegen das Wiesenhof-Schlachthaus in Bogen bekannt wurde. Es folgten weitere Proteste gegen geplante Mastanlagen sowie eine weitere Schlachthausblockade von Wiesenhof in Möckern bei Magdeburg.

In enger Vernetzung mit „Mastanlagen Widerstand“ und motiviert durch die zahlreichen Aktionen gegen Wiesenhof entschied sich die „Kampagne gegen Tierfabriken – Niedersachsen“, eine Kampagne gegen den geplanten Ausbau der Wiesenhof-Schlachtfabrik im niedersächsischen Holte durchzuführen. Es folgten mehrere Blockaden, Aktionscamps, Demos und Proteste bei Partnerunternehmen. Parallel dazu klagten Anwohner*innen gegen die geplante Erweiterung und militante Tierbefreiungsaktivist*innen entglasten das Büro der zuständigen Baufirma.

Die beiden Initiativen motivierten wiederum Aktivist*innen in Ostdeutschland, die mit dem Ziel, Tieranlagen zu verhindern, 2014 das Bündnis Tierfabriken Widerstand gründeten. Seitdem recherchieren sie über geplante Neubauten, machen Öffentlichkeitsarbeit, vernetzen sich mit Bürger*innen-Initiativen und gehen juristisch gegen die Pläne der Tierindustrie vor. So konnten sie einige Genehmigungsverfahren in die Länge ziehen und manche Anlagen verhindern. Als Beispiel sei hier eine Elterntieranlage für Masthühner in Cochstedt (Sachsen-Anhalt) genannt. Im Juni 2016 gab das Unternehmen WIMEX (ein Tochterunternehmen der PHW-Gruppe) bekannt, dass sie die geplante 80.000er-Anlage in Cochstedt nicht bauen werden. Als Grund nannten sie den massiven Protest aus der Bevölkerung. „Besonders hart ging den Geflügelproduzenten aber das sogenannte Bündnis Tierfabriken Widerstand aus Berlin an“, schrieb die Mitteldeutsche Zeitung am 1. Juni.

Im März 2017 blockierten Aktivist*innen unter anderem von Tierfabriken Widerstand, Mastanlagen Widerstand, der Kampagne gegen Tierfabriken und der BI KW-stinkts die Zufahrtswege der Wiesenhof-Schlachtfabrik in Niederlehme in Brandenburg.

Im Januar 2019 wurde die Nachricht bekannt, dass die Schlachtfabrik in Holte komplett schließen wird. Die Kampagne gegen den geplanten Ausbau konnte nach sechs Jahren erfolgreich eingestellt werden.

Um den Widerstand zu bündeln und um die Tierindustrie mit einem bewegungsübergreifenden und überregionalen Bündnis entgegen zu treten, organisierte die Gruppe Animal Climate Action im Juli 2019 eine Aktionskonferenz gegen Tierproduktion. Daraus entstand das Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie, was sich zum Ziel setzte, für 2020 ein Camp und eine Massenaktion gegen den Firmensitz der PHW-Gruppe zu organisieren – zum aktuellen Stand siehe Artikel auf Seite X.

Fazit

Die Geschichte der Tierbefreiungsbewegung ist eine Geschichte vom Kampf gegen alle Formen der Tierausbeutung und somit selbstverständlich auch gegen die Geflügelindustrie. Sie zerrt das versteckte Leid der gemästeten, ausgelaugten und allein auf ihre Produktivität hin gezüchteten Vögel an die Öffentlichkeit. Sie benennt die Verantwortlichen und klagte sie an. Sie blockiert und zerstört die für die Ausbeutung und Tötung notwendige Infrastruktur und befreit einzelne Tiere aus der direkten Gefangenschaft. All das ist gut und richtig. Doch wird das ausreichen, um das Leid und die Ausbeutung ein für alle Mal zu beenden?

Dass die Antwort Nein ist, sollte nicht allzu sehr überraschen. Zwar konnte die Bewegung den Bau von einzelnen Anlagen verhindern, einigen Tieren das Leben retten und gesellschaftliche Diskussionen prägen, aber einen grundsätzlichen Wandel konnte sie bisher nicht herbeiführen. Hierfür bedarf es einer Verankerung in einem breiten Teil der Bevölkerung, die in der Lage ist, die bestehenden Eigentumsverhältnisse und somit auch die vorherrschende Kultur neu zu ordnen. Grundsteine hierfür wurden bereits gelegt. Unterstützung und Aufbau von Widerstand auch fernab der urbanen Zentren, internationale Solidarität mit den Kämpfen gegen Regenwaldrodungen und Landraub sowie der Zusammenschluss mit anderen fortschrittlichen Bewegungen hierzulande sind nur Beispiele von Ansätzen, die wir weiterverfolgen und intensivieren sollten. In diesem Sinne, gehen wir es an.

 

Text: Loris Matzke
aus: Tierbefreiung 107 / Juni 2020
Beitragsbilder: (1) Befreiungsaktion; (2) Die Opfer der Eierindustrie: Auslegeaktion Ostern 2004 in Dortmund; (3) Ostern 2006