Tierbefreiung und Infektionskrankheiten

Tierbefreiung und Infektionskrankheiten

Die Coronakrise und ihre Hintergründe

Die sogenannte Corona-Krise bestimmt derzeit das politische sowie das private Leben auf der ganzen Welt. Mit derzeit etwa 7.400.000 bestätigten Fällen und bislang circa 418.000 Todesopfern [1] ist SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome CoronaVirus-2), welches die Lungenkrankheit Covid-19 auslöst, eine der großen Pandemien.

Bei Covid-19 handelt es sich um eine Infektionskrankheit, welche bei menschlichen und nichtmenschlichen Tieren gleichermaßen auftritt und zwischen diesen übertragen werden kann (= Zoonose). Der Ursprung liegt sehr wahrscheinlich auf dem Huanan See- und (Wild-)Tiermarkt, Wuhan (China). Der Erreger dieser Krankheit gehört zu den sogenannten Coronaviren, welche durch die Krankheiten MERS [4] (Middle East Respiratory Syndrome) und SARS[5] bereits bekannt sind, wird hauptsächlich von Mensch zu Mensch übertragen und kann Symptome wie Fieber, Husten, Halsschmerzen und Lungenentzündungen hervorrufen, wobei Menschen ohne Vorerkrankung häufig keine bis leichte Symptome zeigen.[2]

Woher kommt das Virus?

Aktuelle Studien gehen davon aus, dass der Vorläufer des SARS-CoV-2 von Hufeisennasen-Fledermäusen stammt und vermutlich über einen Zwischenwirt, wie Schuppentiere (Pangoline) oder Schleichkatzen (Larvenroller), auf Menschen übertragen wurde. Verschiedene Verschwörungstheorien besagen zwar, dass es sich um ein chinesisches oder US-amerikanisches „Laborvirus“ handle, doch dies ist sehr unwahrscheinlich.[2, 3] Damit reiht sich Covid-19 in eine lange Reihe von Zoonosen ein, welche etwa dreiviertel aller Infektionskrankheiten ausmachen und die weltweit Millionen Todesopfer gefordert haben. Bekannte Beispiele sind: Ebola, AIDS, Lyme-Borreliose, Zika, Hantaviren, SARS, MERS, Nipah-Virus, Schlafkrankheit und die Beulenpest.[4-6] Das Influenza H1N1-Virus, auch bekannt als Spanische Grippe, infizierte während des ersten Weltkriegs im Jahr 1918, etwa 500 Millionen Menschen und forderte 50 Millionen Opfer. Ausgangspunkt für dieses Virus war vermutlich eine durch wildlebende Vögel infizierte Hühner- oder Putenfarm.[7]

Wie kommt es zur vermehrten Entstehung und Ausbreitung von Zoonosen?

Intakte Ökosysteme, wie Regen- und Urwälder, haben eine hohe Biodiversität, es leben also viele gut an die Umwelt und aneinander angepasste, spezialisierte Arten nebeneinander, was die Ausbreitung von Infektionskrankheiten eindämmt. Grund hierfür ist vermutlich die hohe Immunität der Populationen durch langsame Evolution unter gegenseitiger Beeinflussung von Erregern und Wirtstieren (Koevolution). Wird jedoch in diese Ökosysteme eingegriffen, wirken die natürlichen Schutzmechanismen nicht mehr. Im Folgenden sind drei mögliche grundlegende Mechanismen aufgelistet [8-21], die dazu beitragen, dass neuartige Zoonosen entstehen, welche zu Covid-19 vergleichbaren Pandemien führen können:

Jagd, Handel und Verzehr von (exotischen) wildlebenden Tieren

Durch die hohe Nachfrage nach „Wildfleisch“ dringen mehr und mehr Jäger*innen immer tiefer und häufiger in Ökosysteme ein, fangen und töten dort (exotische) wildlebende nichtmenschliche Tiere. Diese werden dann verzehrt oder über weite Strecken transportiert, um häufig auf (Wild-)Tiermärkten neben sogenannten „Nutztieren“ eingepfercht und getötet zu werden. Natürlicherweise würden diese unterschiedlichen Tiere nicht zusammentreffen, wodurch Viren und andere Krankheitserreger, wie beispielsweise Coronaviren, leicht zwischen Spezies übertragen werden und mutieren können.

Zerstörung von Ökosystemen

Die fortschreitende Abholzung von Ur- und Regenwäldern, die Stilllegung von Mooren und die zunehmende Bebauung, bedingt durch eine globale, kapitalistische Wirtschaftsweise, welche die Natur als Produktionsmittel betrachtet, führen zur zunehmenden Zerstörung von funktionierenden Ökosystemen. Dadurch werden wildlebende nichtmenschliche Tiere vertrieben und ganze Arten ausgelöscht. Die vertriebenen Individuen müssen zunehmend die Nähe menschlicher Behausungen suchen, um zu überleben, was gleichzeitig enormen Stress bedeuten kann. Hierdurch steigt die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten enorm. Durch die Nähe zum Menschen steigt ebenso das Risiko einer Übertragung.[6]

Intensivtierhaltung und Futtermittelproduktion

Die Haltung sehr vieler Individuen einer Art auf engem Raum und unter miserablen hygienischen Bedingungen, bedeutet eine hohe gesundheitliche Gefahr sowie physischen und psychischen Stress für die eingesperrten Individuen. Krankheiten können sich sehr leicht verbreiten, und auch auf Arbeiter*innen übertragen werden. Bekannte Beispiele hierfür sind die Vogel- und die Schweinegrippe [8]; beide werden durch Influenza-Viren ausgelöst. Um einer Pandemie vorzubeugen werden, nach Bekanntwerden eines infizierten (häufig wild-lebenden) Tieres, sämtliche Individuen umliegender Anlagen getötet, auch wenn sie noch gesund sind.[22, 23]

In vielen Intensivtierhaltungen wird auf die (meist) prophylaktische Gabe von klinisch relevanten, therapeutisch verwendeten Antibiotika (aus medizinischer Sicht notwendig) zur „Bestandssicherung“ zurückgegriffen. Die Tier- und Agrarindustrie sind die derzeit größten Verbraucher*innen von Antibiotika! Sind Bakterien (entweder im Körper oder in Ausscheidungen) über einen längeren Zeitraum in Kontakt mit Antibiotika, können sie relativ schnell Resistenzen entwickeln, die selbst über die bakteriellen Speziesgrenzen hinweg weitergegeben werden können. Wird ungekochtes Fleisch mit resistenten Bakterien verzehrt, kann es zu einer Übertragung der resistenten Bakterienstämme auf Menschen oder der Resistenzen selbst auf menschenbesiedelnde Bakterien kommen. Zudem werden diese durch Transport, Verarbeitung und das Ausbringen von Gülle auf Felder weiter in der Umwelt verbreitet. Somit ist die industrielle Tierhaltung mitverantwortlich für die derzeitige Verbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien, die weltweit viele Opfer fordern.[12]

Die Produktion von Futtermitteln für die Tierproduktion weltweit findet auf etwa 60 bis 80 Prozent [9, 10] der landwirtschaftlich genutzten Fläche unseres Planeten statt! Täglich werden immense Flächen Ur- und Regenwälder abgeholzt und ersetzt durch Monokulturen mit hohem Pestizideinsatz. Dies ist einer der größten Faktoren für die Zerstörung der verbliebenen intakten Ökosysteme und trägt damit zum Verlust der Biodiversität bei, was, wie oben erwähnt, die Entstehung und Ausbreitung neuartiger Pandemien begünstigt. Zudem werden lokale, nachhaltig wirtschaftende Kleinbäuer*innen, insbesondere im globalen Süden, von multinationalen Konzernen vertrieben.[9]

Zusammengefasst, haben die vergangenen Pandemien und die derzeitige Corona-Pandemie eine gemeinsame Ursache: unsere Ausbeutung (nicht)menschlicher Tiere und der verbliebenen Ökosysteme sowie unsere auf Profitmaximierung ausgelegte globale Wirtschaftsweise. Es hat zwar schon immer Zoonosen und Krankheitsausbrüche gegeben, wie den Ausbruch der Pest, allerdings häufen sich diese in den letzten Jahrzehnten.[24, 25]

Was können wir also tun?

Der wirksamste Schutz vor Zoonosen sind intakte Ökosysteme mit hoher Biodiversität – wir sollten alles daran setzen die verbliebenen zu erhalten! Die Jagd, das Einfangen und der Konsum von (Wild-)Tieren müssen gestoppt werden! Wir müssen einen Ausstieg aus der Tierproduktion voranbringen, tierindustrielle Anlagen schließen und die eingesperrten Individuen befreien!

Individuelle Konsumentscheidungen können zwar ein Teil der Lösung sein, sind jedoch bei Weitem nicht ausreichend. Stattdessen brauchen wir ein globales gesamtgesellschaftliches Umdenken: Wir müssen weg von einer profitorientierten Wirtschafts- und Produktionsweise, hin zu einer solidarischen, ökologisch-verträglichen, pflanzenbasierten Landwirtschaft.

Vergangene Pandemien, insbesondere Ebola, AIDS, Malaria oder die Schlafkrankheit, trafen häufig besonders Menschen im globalen Süden, welche kaum Zugang zu Hygieneeinrichtungen, Medikamenten oder sauberem Trinkwasser haben. Auch die derzeitige Versorgungslage in Lagern für Geflüchtete ist ein nicht hinnehmbares Risiko für die dort lebenden Menschen. Zeigen wir uns solidarisch mit ihnen!

No one is free, until all are free! Solidarität ist grenzenlos!

 

Text: Lisa
aus: Tierbefreiung 107 / Juni 2020
Beitragsbild: Modell der Entstehung von SARS-CoV-2 (Abbildung wurde erstellt mit BioRender).

 

[1] “Corona-Fälle weltweit, Coronavirus-Monitor”, Berliner Morgenpost, Stand 11.06.2020.
[2] Zheng, J., “SARS-CoV-2: an Emerging Coronavirus that causes a global threat”, International Journal of Biological Sciences, V. 16, No. 10, 2020, pp. 1678–1685.
[3] Andersen, K. G., Rambaut, A., Lipkin, W. I., Holmes, E. C., and Garry, R. F., “The proximal origin of SARS-CoV-2”, Nature Medicine, V. 26, No. 4, 2020, pp. 450–452.
[4] RKI, M., “Informationen des RKI zu MERS-Coronavirus”, 13.12.2019.
[5] Cheng, V. C. C., Lau, S. K. P., Woo, P. C. Y., and Yuen, K. Y., “Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus as an agent of emerging and reemerging infection”, Clinical Microbiology Reviews, V. 20, No. 4, 2007, pp. 660–694.
[6] Wolfe, N. D., Daszak, P., Kilpatrick, A. M., and Burke, D. S., “Bushmeat hunting, deforestation, and prediction of zoonoses emergence”, Emerging infectious diseases, V. 11, No. 12, 2005, pp. 1822–1827.
[7] Tumpey, T. M., Basler, C. F., Aguilar, P. V., Zeng, H., Solórzano, A., Swayne, D. E., Cox, N. J., Katz, J. M., Taubenberger, J. K., Palese, P., and García-Sastre, A., “Characterization of the reconstructed 1918 spanish influenza pandemic virus”, Science, V. 310, No. 5745, 2005, pp. 77–80.
[8] “Was Forscher über den Ursprung der Pandemie wissen”, 28.03.2020, Spiegel.
[9] Steinfeld, H., Gerber, P., Wassenaar, T. D., Castel, V., Rosales, M., and Haan, C. de, “Livestock’s long shadow: environmental issues and options”, Food & Agriculture Org, 2006.
[10] https://www.globalagriculture.org/report-topics/meat-and-animal-feed.html
[11] Henning Brian G., “Standing in Livestock’s ‚Long Shadow‘: The Ethics of Eating Meat on a Small Planet”, Ethics & the Environment, No. 16, 2011, pp. 63–93.
[12] Ellen K. Silbergeld, Jay Graham, and Lance B. Price, “Industrial Food Animal Production, Antimicrobial Resistance, and Human Health”, Annual Review of Public Health, V. 29, No. 1, 2008, pp. 151–169.
[13] “Covid-19: Die Frau, die Coronaviren jagt”. 17.03.2020. Spektrum.
[14] Greger, M., “Bird Flu A Virus of Our Own Hatching”, Lantern Books, New York, 2006.
[15] “Fact check: Is COVID-19 caused by human consumption of animals?”, USA Today, 2020.
[16] “Coronavirus: »Die Agrarindustrie würde Millionen Tote riskieren.«”, 15.03.2020. Amerika21.
[17] “Epidemiologie Gestresste Fledermäuse übertrugen das Virus”, Science ORF.at, 31.03.2020.
[18] “The Ecology of Deseases”, New York Times, 14.12.2012.
[19] “Auslöser sind Umweltveränderungen: Die Corona-Pandemie wäre ohne den Menschen nicht entstanden, sagt die Biologin Simone Sommer. Naturschutz sei auch für unsere Gesundheit zentral.”, TAZ, 2020.
[20] Rob Wallace, “Connecting the Coronavirus to Agriculture”, Counterpunch, V. 24.02.2020.
[21] Dandagi, G. L., and Byahatti, S. M., “An insight into the swine-influenza A (H1N1) virus infection in humans”, Lung India: official organ of Indian Chest Society, V. 28, No. 1, 2011, pp. 34–38.
[22] “Ist das Keulen Tausender Tiere wirklich nötig?”, Welt, 28.11.2016.
[23] “Vogelgrippe-Epidemie: Südkorea tötet 26 Millionen Hühner”, Agrar heute, 28.12.2016.
[24] Madhav N, Oppenheim B, Gallivan M, et al. „Pandemics: Risks, Impacts, and Mitigation.“ In: Jamison DT, Gelband H, Horton S, et al. Disease Control Priorities: improving health and reducing poverty. 3rd edition. Washington (DC): The International Bank for Reconstruction and Development / The World Bank; 2017 Nov 27. Chapter 17.
[25] „Wenn wir weiter so machen stirbt unsere Spezies aus“, 09.04.2020. Augsburger Allgemeine.