Eine feministische Filmkritik zu „The Game Changers“
Gefühlt haben sie alle gesehen. Die im Herbst 2019 auf Netflix erschienene Dokumentation The Game Changers entwickelte sich binnen kürzester Zeit zum Liebling der veganen Szene. Der Film strebt nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in Bezug auf unsere Ernährung an und will das gängige Klischee, dass vegan lebende Menschen mangelernährt und schwach sind, widerlegen. Mit von der Partie ist James Cameron, der als Regisseur von Filmen wie Titanic und Avatar große Bekanntheit erlangte. Was kann da also noch schief gehen? Achtung, Spoiler: eine ganze Menge.
Der Film erzählt die Geschichte von James Wilks, einem professionellen Kampfsportler, der nach einer Verletzung die optimale Ernährungsform für eine schnelle Genesung und Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit sucht. Bei seiner Suche stößt er auf eine Studie über die Ernährungsgewohnheiten römischer Gladiator*innen. Forscher*innen der Universitäten Wien und Bern untersuchten Knochen, die bei Ausgrabungen im antiken Ephesos gefunden wurden, und kamen zu dem Ergebnis, dass sich Gladiator*innen hauptsächlich pflanzlich ernährt haben müssen.[1] Das ist der zentrale Aufhänger des Films. Wenn diese starken Kämpfer*innen sich vegan ernährt haben, dann könnte ja doch etwas dran sein an dieser Ernährungsform. Wilks spricht daraufhin mit unterschiedlichsten Menschen weltweit, vor allem Wissenschaftler*innen und Athlet*innen, welche die These, dass nur Fleisch essen stark macht, widerlegen.
Er trifft vegan lebende Sportler*innen wie Patrik Baboumian, der 2011 bei den Strongman-Meisterschaften den Titel „Stärkster Mann Deutschlands“ holte. Oder Morgan Mitchell, eine Sprinterin, die Australien bei den Olympischen Sommerspielen 2016 vertrat. Und auch professionelle Bodybuilder wie Mischa Janiec, Nimai Delgado und – the one and only – Arnold Schwarzenegger. Schwarzenegger, der früher für seinen exzessiven Fleischkonsum bekannt war, spricht sich mittlerweile öffentlich immer wieder dafür aus, weniger Fleisch zu essen und isst selbst nach eigenen Angaben gar kein Fleisch mehr.
Als der Terminator „Hasta la vista“ zum Fleisch sagte, waren viele vegane Aktivist*innen völlig aus dem Häuschen und teilten die frohe Botschaft in sozialen Netzwerken. Schwarzenegger wurde allerdings auch in der Vergangenheit von mehreren Schauspielkolleginnen der sexuellen Belästigung beschuldigt und gibt immer wieder sexistische Äußerungen von sich.[2] In einem Interview gegenüber dem Esquire Magazin philosophiert er zum Beispiel über Diskriminierung aufgrund des Aussehens und sagt folgenden Satz: „Wenn man eine Blondine mit großen Brüsten und einem großen Hintern sieht, sagt man sich: ‚Hey, sie muss dumm sein oder nichts anderes zu bieten haben‘, was vielleicht oft der Fall ist. Aber dann ist da noch diejenige, die so schlau ist, wie ihre Brüste aussehen.”[3] Danke für nichts, Arnie. Aber hey, wenn er sagt, dass die Menschen weniger Fleisch essen sollen, kann man so einen Typen schon mal feiern. Und gleich noch prominent in einer veganen Doku platzieren.
Wenn es nur diese eine problematische Person wäre, die in der Doku vorkommt, ließe sich durchaus darüber hinwegsehen. Tatsächlich bietet Schwarzenegger aber einen ziemlich guten Vorgeschmack auf das, was uns den gesamten Film über erwartet: die Glorifizierung toxischer Männlichkeit. Toxische Männlichkeit meint nicht die Gleichung Männer* = Gift, sondern das Konzept von Männlichkeit, welches unsere Gesellschaft an Männer* heranträgt und das schädlich für sie selbst und andere ist. Von Kindesbeinen an lernen Männer*, welches Verhalten sie an den Tag legen dürfen und welches nicht. Sie müssen stark sein und dürfen keine Schwäche zeigen, sie müssen immer Leistung erbringen und sollen ihre Gefühle verbergen oder unterdrücken, es sei denn, es handelt sich um Wut und Aggression. Konflikte werden mit Gewalt gelöst und alle Verhaltensformen, die als „weiblich“ gelten, wie etwa Mitgefühl, Weinen oder Zärtlichkeit, gehören sich nicht für einen „echten“ Mann.
Passend dazu werden bei The Game Changers die Gladiator*innenkämpfe als reine Männerveranstaltung inszeniert. Dass Frauen* und Kinder in den Arenen der Antike genauso gegeneinander kämpfen mussten und dass sogar in der Studie, auf die sich der Film bezieht, von weiblichen Knochenfunden die Rede ist, wird im Film einfach nicht erwähnt. Passt offenbar nicht ins Konzept. Es kann und darf scheinbar nur starke, kämpferische Männer* geben, weshalb uns der Film aus dem Bereich des Kraftsports ausschließlich vegane Männer* zeigt.
Vegane Sportlerinnen glänzen im Film vor allem durch Abwesenheit. In der gesamten Dokumentation sind von 30 vorgestellten Sportler*innen nur zwei Frauen*:
Die Sprinterin Morgan Mitchell und die Radrennfahrerin Dotsie Bausch. Natürlich Leichtathletik, kein Kraftsport. Es ist ein Trauerspiel. Doch leider kein Einzelfall. Denn obwohl 70 bis 80 Prozent der veganen Bewegung Frauen* sind, wird die weibliche Expertise zu dem Thema immer wieder verdrängt. Es sind deutlich häufiger Männer*, die als Leitfiguren inszeniert und als Experten befragt werden oder die Leitungspositionen in Unternehmen, Organisationen sowie aktiven Gruppen übertragen bekommen. Oder durch Filme zu Stars gemacht werden.
Die Unsichtbarmachung von Frauen* hat in einer patriarchalen Gesellschaft System. Filmemacher*innen können diese Diskriminierung und Benachteiligung durchbrechen oder sie reproduzieren. The Game Changers hat sich leider für Letzteres entschieden. Wen hätte man also noch vorstellen können? Zum Beispiel Rocky Leudeker, die seit 17 Jahren vegan lebt und 14 Weltrekorde sowie 33 nationale Rekorde im Powerlifting aufstellte. Bei diesen auch als Kraftdreikampf bezeichneten Wettkämpfen werden die besten Leistungen in der Kniebeuge, dem Bankdrücken und dem Kreuzheben verliehen. Oder Sahyuri Lalime. Sie holte zweimal den Titel der besten Powerlifterin bei den belgischen Nationalmeisterschaften und nahm an den International Powerlifting Federation-Europameisterschaften teil, bei denen sie Platz neun von 22 belegte. Lalime bezeichnet sich selbst als ethische Veganerin und arbeitet als Personal Trainerin in Brüssel. Oder die seit über zehn Jahren vegan lebende Yolanda Presswood, ebenfalls Powerlifterin, die 2017 den US-Nationalrekord im Kniebeugen und 2019 den Weltrekord im Kniebeugen, Kreuzheben und Wettkampftotal brach. Oder Jehina Malik. Die Bodybuilderin lebt seit ihrer Geburt vegan und erhielt 2014 die sogenannte Pro Card, eine prestigeträchtige Auszeichnung, die Athlet*innen erlaubt, an den IFBB-Profi-Wettkämpfen (International Federation of Bodybuilding and Fitness) teilzunehmen. Oder Amanda Riester. Die Boxerin lebt seit 2009 vegan, gewann viermal bei den Chicago Golden Gloves und belegte 2013 den ersten Platz im OCB Midwest States Bodybuilding and Figure Contest. Oder, oder, oder…
Wer schon mal etwas von Patrik Baboumian gehört hat, aber noch nie von einer dieser Frauen*, sollte sich dringend die Frage stellen, warum das so ist. Das ist keine Kritik an Baboumian, es ist eine Kritik an Filmemacher*innen, Journalist*innen und anderen Akteur*innen in den Medien, die mit ihren Geschichten immer wieder Männer* groß (und stark) machen und Frauen* unerwähnt lassen oder sie lediglich am Rande in „typisch weiblichen“ Kontexten zeigen.
Was bei The Game Changers ebenfalls unerwähnt bleibt, ist, dass sich die Ernährung der Gladiator*innen damals kaum zur örtlichen „Normalbevölkerung“ unterschieden hat. Auf dem Speiseplan standen zu dieser Epoche generell Getreidegerichte und fleischlose Kost. Gladiator*innen hatten also kein besonderes Ernährungsprogramm, welches sie stärker und agiler als andere Menschen gemacht hätte. Warum sollten sie auch? Gladiator*innen waren in der sozialen Hierarchie noch niedriger angesiedelt als Sklav*innen. Aber vielleicht wird all das deshalb verschwiegen, weil so männlich-chauvinistische, hierarchische und kriegerische Gesellschaftsstrukturen selbst mit einer veganen Ernährung aufrechterhalten werden können.
Dass The Game Changers nicht lediglich sportliche Leistung adressieren will, sondern gezielt den Männlichkeitsmythos befeuern möchte wird eindrucksvoll an der „Penis-Test“-Szene deutlich. Vor die Kamera tritt der Urologe Dr. Aaron Spitz und sagt: „Wenn ich an einen männlichen Mann denke, denke ich an jemanden, der Kraft und Ausdauer hat, sexuell leistungsfähig und fruchtbar ist. Tatsächlich zeigen Studien, dass je mehr Fleisch Männer* essen, desto schneller verlieren sie ihre Männlichkeit.“ Unter seiner Aufsicht machen drei Footballspieler den Selbstversuch. Das Ergebnis: Nach einer Mahlzeit ohne tierische Produkte sind die gemessenen nächtlichen Erektionen länger und „härter“. Einer der Probanden resümiert vor der Kamera: „Als ich klein war und in einem Restaurant einen großen Kerl gesehen habe, der ein Steak isst, dachte ich, ‚so will ich auch sein‘. Wenn ich sah, dass ein Kerl einen Salat bestellte, dachte ich, ‚was für ein Weichei‘. Aber so wie es aussieht, ist der Kerl mit dem Steak der Weiche und der andere der Harte.“ Wohlwollendes Gelächter. Die drei Footballspieler beschließen, natürlich ihrer Männlichkeit zuliebe, ihr Date beim nächsten Mal zum Veggie-Grill auszuführen.
Jetzt ist also Fleischessen etwas für Schwächlinge. Natürlich steckt auch ein ordentliches Stück Kompensationsarbeit in diesem Vorgehen. Feminine Nahrung muss einen maskulinen Anstrich erhalten, um für echte Männer* akzeptabel zu sein. Es ist nicht länger von Empathie und Mitgefühl die Rede, sondern es dreht sich alles nur noch darum, stärker und potenter zu werden. Damit wird auch der permanente Leistungs- und Bewährungsdruck reproduziert, der auf Männern* lastet. Anstatt Männer* zu ermutigen, Schwächen und Gefühle zu zeigen und so tatsächlich den Grundstein für Gesundheit und Wohlbefinden zu legen, wird lieber auf eine kapitalistische Verwertungslogik gesetzt, inklusive Geschlechterstereotypen.
In diesen 88 Minuten dreht sich alles um gestählte Männerkörper, machohafte Beschützerwünsche und infantile Penis-Diskussionen, stimmungsvoll unterlegt mit energischem Hip-Hop-Sound. Der Film will nicht den Fleisch-Männlichkeitsmythos abschaffen, sondern er will Fleisch lediglich mit Hülsenfrüchten ersetzen. Der Männlichkeitsmythos soll um jeden Preis erhalten bleiben. Ich werde nie den Moment vergessen, als ich den Film das erste Mal sah, ihn scharf kritisierte und mir daraufhin eine vegane Aktivistin* ausführlich erklärte, dass man nur so die breite Masse und insbesondere Männer* von einer veganen Lebensweise überzeugen könnte. Diese Aussage habe ich seitdem häufiger gehört. Nun, ich zweifle nicht an, dass man auf diesem Weg viele Menschen erreicht, sondern ich stelle die drängende Frage zu welchem Preis. Außerdem zeugt es schon von einem extrem verqueren Männerbild, wenn man wirklich der Meinung ist, dass Männer* für eine vegane Ernährung nur begeistert werden können, wenn man ihnen etwas über ihre Leistungsfähigkeit und ihre Potenz erzählt. Als seien Männer* nicht in der Lage, gesellschaftliche Probleme zu erkennen und entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen.
In meinem Vortrag „Meat & Macker – wie toxische Männlichkeit Menschen zu Fleischessern macht“ dekonstruiere ich den Mythos, dass Männer* Fleisch essen müssen, um ihrem Geschlecht zu entsprechen und mahne gleichzeitig an, dass es nicht sein darf, dass wir als vegane Aktivist*innen uns der toxischen Männlichkeit bedienen, um Männern* nun denselben Müll in grün einzutrichtern. Stattdessen sollten wir ein Bewusstsein für die stereotypen, repressiven Vorstellungen der männlichen Geschlechterrolle schaffen und Alternativen aufzeigen.
Unsere Gesellschaft bringt Männern* bei, dass Mitgefühl, Zärtlichkeit, Sanftmütigkeit oder Nachgiebigkeit keine erstrebenswerten Eigenschaften sind, weil sie feminin codiert sind. Genau wie eine pflanzliche Ernährungsweise. Das muss aufhören. Ich habe diesen Vortrag schon mehrfach gehalten und jedes Mal sind im Anschluss Männer* unterschiedlichen Alters zu mir gekommen und haben sich bei mir bedankt. Die Männer* erzählten mir davon, wie sehr sie unter diesen gesellschaftlichen Erwartungen und Normen leiden und dass sie in der veganen Bewegung erstmals einen Ort gefunden haben, bei dem dieser ganze Mackerkult keine zentrale Rolle zu spielen scheint. Sie lobten mein Engagement und baten mich darum, unbedingt weiter zu machen.
Abschließend dazu habe ich noch eine letzte Anekdote: In einem Trailer von The Game Changers wird ein Zitat der Sports Illustrated eingeblendet, die über den Film sagt, dass dies eine neue Ära des Veganismus sei.[4] Sports Illustrated ist eine der berühmtesten Sportzeitschriften auf dem Markt und etablierte in den Sechzigern die einmal im Jahr erscheinende „Sports Illustrated Swimsuit Issue“, in der ausschließlich Bilder von Frauen* in Bikinis zu finden sind. Man wollte sich den Zugang zu einer größeren männlichen Zielgruppe sichern, weil damals Zeitschriften eher als eine „Frauensache“ galten. 1997 veröffentlichte die Soziologin Laurel R. Davis eine Studie, in der sie die kulturelle Bedeutung der beiden Magazine untersuchte. Sie kam zu dem Schluss, dass die „Sports Illustrated“ ein Klima hegemonialer Männlichkeit geschaffen hat und ein entscheidender Wegbereiter für Sexismus, Rassismus, Heteronormativität und westlichen Ethnozentrismus in männerdominierten Sportarten war.[5]
Was ist also ein Veganismus wert, der mit patriarchalen Wertevorstellungen einhergeht und sie grün wäscht?
Text: Anna-Lena Klapp (Autorin von „Food Revolte – Ein vegan-feministisches Manifest„)
aus: Tierbefreiung 110 / März 2021
Beitragsbild: Ausschnitt des Filmplakates (Link)
[1] Lösch S. et al. (2014): Stable Isotope and Trace Element Studies on Gladiators and Contemporary Romans from Ephesus (Turkey, 2nd and 3rd Ct. AD) – Implications for Differences in Diet. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0110489 [2] Cohn G., Hall C., Welkos R. W. (2003): Women Say Schwarzenegger Groped, Humiliated Them. Online unter: http://articles.latimes.com/2003/oct/02/local/me-women2 [02.08.2018] [3] Mathews J. (2003): Schwarzenegger’s Words About Women Are at Issue. Online unter: http://articles.latimes.com/2003/sep/16/local/me-women16/2 [02.08.2018] [4] VeganRevolution auf Youtube (2018): IT’S A NEW ERA OF VEGANISM – Game Changers First Trailer. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=bMQ1rzz9t5w [19.04.2020] [5] Davis L. (1997): The Swimsuit Issue and Sport: Hegemonic Masculinity in Sports Illustrated. State University of New York Press. New York