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Die systematische Zersetzung der Realität durch die neoliberale Fantasie eines selbstregulierenden gesellschaftlichen Diskurses

Die Prävalenz kommerzieller Social Media-Plattformen in unseren Zusammenhängen gibt zu denken. Wenn bewegungsrelevante Diskurse, Mobilisierung und Organisierung zunehmend von diesen Strukturen monopolisiert werden, begeben wir unsere emanzipatorischen Bestrebungen dadurch in die Abhängigkeit kapitalistischer Interessen. Die Kritik an diesen speziellen Angeboten ist dabei allzu häufig primitivistischen Argumenten unterworfen. Dabei werden doch gerade aus technologieaffiner Sicht die mit ihnen verbundenen Gefahren erst deutlich. Drum möchte dieser Text die Selbstverständlichkeit mit der Twitter, Facebook und Co Einzug in die aktivistische Normalität gehalten haben infrage stellen und zur kritischen Reflexion ihrer Rolle in unserem Leben einladen.

Im Schatten der großen Aufklärung entwickelt sich eine neue Ideologie, deren Wurzeln auf ein Ideal von Freiheit, Vernunft und Meinungsfreiheit zurückgehen. Die persönliche Entfaltung in den Mittelpunkt stellend werden diese aufklärerischen Motive auf die Spitze getrieben. Im 18. Jahrhundert kommt ein Schottischer Philosoph auf eine Idee: Was, wenn alle Menschen perfekt rational handeln würden, was sie ja tun, und die Freiheit hätten ohne Einschränkung nur für ihre eigenen Interessen zu sorgen? Dann wäre für alle gesorgt, alle würden in Freiheit leben und der Traum der Aufklärung würde schlussendlich seine ersehnte Vollendung erfahren.

Bereits nach kürzester Überlegung fällt auf, dass diese Idee Adam Smiths an Absurdität schwerlich zu übertreffen ist. Dieses Detail hat unsere Spezies aber nicht davon abhalten können hieraus die zentrale Kernidee der globalen Ökonomie abzuleiten: Der „Freie Markt“ basiert auf den Zusicherungen, dass erstens alle Parteien stets rational handeln und zweitens ungehemmter Egoismus zu einem Gedeihen aller führt. Denn schließlich sei es dadurch im Interesse aller selbst möglichst gute Produkte anzubieten, um nicht von der Konkurrenz ausgestochen zu werden; die Entwicklung nützlicher (heißt: profitabler) Geschäfte durch automatische Selektion. Diese neoliberale Ideologie ist derartig allgegenwärtig, dass sie häufig nicht einmal mehr als Ideologie, sondern vielmehr als naturgegeben angesehen wird. Ein Analogon zur natürlichen Selektion.

Sie durchsetzt so sehr den Zeitgeist, dass sie sich nicht nur in ökonomischen Belangen äußert, sondern auch in Wesen und Struktur jeden Diskurses – Ideen werden zu Produkten. Sitzen wir dem Irrtum auf, dass schlechte Ideen sich wie von selbst aussieben, leitet sich hieraus ab, dass wir keine Energie aufwenden müssen diese aktiv zu bekämpfen. Der perfekt rational handelnde Schwarm wird das schon übernehmen. Der „Freie Markt der Ideen“ („Marketplace of Ideas“) ist geboren.

Adam Smith twittert nur Fake News

Die Realität sieht aber anders aus. Der „Freie Markt“ preist uns das uneingeschränkte Selbstinteresse aller als etwas Gutes an, welches am Ende des Tages – durch nicht näher beschriebene Magie – die Gesellschaft für alle verbessern soll. Also, im allerbesten Falle wird diese magische Verbesserung „für alle versprochen.

In Wirklichkeit ist dieses Konstrukt ein Machterhaltungsinstrument, da es geflissentlich außer Acht lässt, dass die Ausgangslage nicht für alle dieselbe ist. Nicht alle haben dieselben Möglichkeiten Produkte, Ideen, oder was auch immer über einen „Freien Markt“ gehandelt werden soll, anzubieten, zu bewerben und andere von ihrer Qualität zu überzeugen. Von der Kontrolle der Produktions- und Publikationsmittel ganz zu schweigen. Und selbst wenn diese Mittel gleich verteilt wären, nicht jede Idee oder jedes Produkt ist gleichermaßen einfach zu bewerben: Klimaschutz, Tierschutz (von Tierrechten oder gar Tierbefreiung ganz zu schweigen), gerecht gehandelte Waren, Gleichberechtigung von bislang unterdrückten Identitäten, et cetera. Tendenziell dem linken Spektrum zugeordnete Ideen erfordern von den Rezipient*innen eine Verhaltensänderung oder eine gewisse Form des Verzichts, von der sie selbst unmittelbar keinen quantifizierbaren Vorteil haben.

Unter maximaler Ausbeutung hergestellte Produkte können billiger angeboten werden, die Gewinnmarge ist größer, eine Nachfrage kann sogar künstlich erzeugt werden. Ihre Argumente müssen nicht stärker sein, nur ihre Konsumierbarkeit schneller, leichter, verführerischer.

Die Idee des „Freien Marktes“, im Allgemeinen, lässt also keinen Raum für Moral oder Ethik. Sie optimiert lediglich auf Angebote die gleichzeitig gut konsumierbar und hoch profitabel sind. Kurzum: „Social Media“.

Kapitalist*innen wollen nicht, dass Du diesen geheimen Trick kennst

Social Media-Plattformen unterliegen (beinahe ausnahmslos) in zweierlei Hinsicht der neoliberalen Logik des „Freien Marktes“. Zunächst auf der direkten Ebene: Das Produkt, also etwa Webseiten, Apps und so weiter. Zusätzlich auf der Meta-Ebene: Die Inhalte, also die Ideen, die auf der Plattform feilgeboten werden.

Diese Ebenen interagieren miteinander; Die Inhalte, die auf der Plattform verbreitet werden können, bedingen die Verbreitung der Plattform an sich. Und je mehr die Plattform an Macht und dadurch an Profitabilität gewinnt, umso mehr beeinflusst sie die im Allgemeinen ausgetauschten Ideen. Am Beispiel Facebook: Durch die enorme Verbreitung von Facebook kann es sich der Konzern leisten, konkurrierende Social Media-Angebote (etwa Instagram und WhatsApp) aufzukaufen und damit die eigene Macht auszubauen. Sperrt Facebook mehr Inhalte, muss es aufgrund des „Freier Markt“-Narrativs befürchten, dass Population abwandert, zum Beispiel zu den kaum bis gar nicht restriktiven Nazilöchern vk oder eines der *chans. Zulassen jener Inhalte kann hingegen dazu führen, dass andere Menschen durch diese abgestoßen werden und die Plattform verlassen.

Durch eine hohe Monopolisierung der Plattform wird letzteres erschwert; denn eine Social-Plattform ist umso besser, je mehr sie die Gesamtpopulation abdeckt. Zusätzlich muss die Plattform es erfolgreich hinkriegen diese Gruppen möglichst voneinander abzuschotten. Nach dem Motto: „Was ich nicht seh´, tut mir nicht weh.“

Wie gelingt es, folgende Probleme alle gleichzeitig zu lösen?

  1. Bindung von Benutzer*innen.
  2. Gegenseitige Abschottung verschiedener „Interessensgruppen“.
  3. Aufrechterhaltung der Marktmacht (alle „Interessensgruppen“ müssen möglichst groß wirken).

Die Antwort ist Mustererkennung. Kann es Facebook gelingen, rauszukriegen wie eine Person tickt, was sie grob denkt und was sie interessiert, kann die Plattform diese Person „am Ball“ halten, indem der Person immer wieder Inhalt präsentiert wird, der zu diesen Kriterien passt.[1] Gleichzeitig kristallisieren sich damit Subkulturen beziehungsweise voneinander isolierte kulturelle Inseln heraus. In diesen sammeln sich Personen mit (zumindest tendenziell) kompatiblen Sichtweisen an. Ähnlich wie ein Onlineshop etwa Artikel empfiehlt, die andere Menschen mit vergleichbaren Konsumgewohnheiten auch gekauft haben, werden hier stattdessen Inhalte und andere Personen vorgeschlagen. Wenn ich Erdbeereis lieber mag als Vanille, werden mir lauter Artikel vorgeschlagen, die von Erdbeereis reden, Leute, die Erdbeereis mögen, Erdbeereis-Fangruppen.

Du wirst nicht glauben, was passiert, wenn Du auf diesen Like klickst

Was aber besonders wichtig ist: „Mögen“ hat hier nicht die übliche Bedeutung. Wenn ich Erdbeereis so abgrundtief hasse, dass ich auf Inhalte reagiere die das Thema Erdbeereis behandeln, sei es nur um zu sagen, dass Erdbeereisfans alle schlechte Menschen seien, dann „mag“ ich das Thema Erdbeereis. Alles, was mich dazu bringt zu interagieren führt dazu, dass die Plattform mir mehr davon zeigt. Und umgekehrt, je mehr Menschen darauf reagieren, umso mehr wird ein Inhalt von der Plattform anderen Leuten gezeigt. Der hierfür etablierte Begriff lautet Engagement.[2]

Unter dem Begriff Engagement laufen alle erdenklichen Interaktionen mit einem dargebotenen Inhalt; ein Like, ein Hasskommentar, die bloße Betrachtung des Beitrags und sogar die Dauer der Betrachtung, Teilen und so weiter. Kommerzielle Social Media-Seiten messen sehr feingranular das Engagement mit allen Inhalten und leiten daraus ein Modell ab, wodurch welche Personen am meisten Zeit auf der Plattform verbringen. Denn diese Zeit und Aufmerksamkeit lässt sich direkt in Einnahmen durch Werbeanzeigen übersetzen.

Da aber Engagement nicht qualitativ bewertet wird, steigen besonders krasse Inhalte immer weiter auf. Wenn Attila Hildmann den neusten rassistischen Denkfurz lässt, dann wird der Skandal einmal quer durch „vegane“ Zusammenhänge gereicht. Die Social Media-Plattform merkt dann, dass der Artikel sehr beliebt ist und ganz viele Leute vielleicht sogar diskutieren, retweeten, was auch immer. Also kriegen ihn mehr Leute vor die Nase. Schnell sind Menschen nur von Müllmeinungen umgeben, ob AfD, Trump, Quatschdenken, QAnon, oder das neueste Gewand des Antisemitismus der Saison. Und die färben irgendwann ab, zumindest erzeugen sie ein Hintergrundrauschen.[3]

Zehn Wege aus dem Kapitalismus, die Du garantiert noch nicht kanntest

Das Problem ist aber nicht individuelles Verhalten. Frei nach Adorno; es gibt keine ethische Benutzung von Social Media. Die Geschäftsmodelle der Produkt- und Inhaltebene unterliegen dem Narrativ des „Freien Marktes“. Genauso wie Kapitalismus im Großen lassen sich diese im „Kleinen“ nicht von innen durchbrechen. Sie können nur für neoliberale Zwecke verschärft werden, das heißt Manipulation zugunsten bestehender Machtstrukturen, aber niemals diesen strukturell entgegenstehend. Längst haben Polizeien eigene Twitterkonten, über die sie politischen Einfluss nehmen, rechtsparlamentarische Parteien wissen die Verlockungen des Hasses für sich zu nutzen und ewig so weiter.

Doch was tun? Die Folgen aus dem Fiebertraum des Neoliberalismus lassen sich nicht mehr ignorieren. Die Antwort auf diese Frage erfordert eine bewegungsorientierte Diskussion, die hier nicht unilateral vorweggenommen werden kann, denn sie betrifft ein Problem globalen Ausmaßes. Doch so viel liegt auf der Hand, die Konstruktion unabhängiger Strukturen zur Unterstützung einer solchen Emanzipation ist unerlässlich. Ohne Organisation lassen sich die massiven Probleme, vor denen wir stehen, nicht lösen.

Komplexe Probleme haben keine trivialen Lösungen, so ist auch der nachvollziehbare Impuls die eigenen Konten bei allen Plattformen zu löschen, keine echte Lösung für das zugrundeliegende Problem — kann aber durchaus selbst-empowernden Charakter haben. Es hilft jedoch nicht, wenn kein adäquater Ersatz zur zielorientierten Organisation besteht. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Gebrauch dieser Medien ist allerdings keinesfalls falsch: Jeder Gebrauch dieser Angebote ist zugleich immer auch eine Partizipationsbarriere, die von Anderen eine Teilnahme im selben System erfordert. Im Zuge dessen sollten wir andere Wege und Medien finden, Strategien zu entwickeln und zu diskutieren. Als Bewegungsmagazin lädt die Redaktion der TIERBEFREIUNG auch gerne Lesende ein, sich mit Artikel- und Lesenden-Briefzusendungen in diesem bestehenden Medium zu beteiligen.

Emanzipatorische Politik braucht emanzipierte Medien.

 

[1] Nein, hier ist nicht die Rede von „Dem Algorithmus“. Diesen gibt es nicht. Die hier besprochene Klassifizierung wird nicht algorithmisch getroffen, sondern ist das Ergebnis von Mustererkennung und Machine Learning.
[2] Eine Übersetzung des engl. Begriffs „Engagement“ fällt äußerst schwer. Sinngemäß bedeutet es wie sehr Personen erreicht, beschäftigt, beeinflusst werden beziehungsweise sich mit einem Inhalt befassen.
[3] Eine detaillierte Analyse von Verbreitungswegen und Entwicklungsmustern verschwörungstheoretischer Inhalte würde hier zu weit führen und soll in einer zukünftigen Ausgabe der TIERBEFREIUNG ausführlich behandelt werden.

 

Text: Alan Schwarz
aus: Tierbefreiung 109 / Dezember 2020