Tierbefreiung 102

Tierbefreiung 102

Dieses Magazin versteht Tierbefreiung als einen Kampf gegen die Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung, die Tieren in unserer Gesellschaft widerfahren. Darüber hinaus als ein Bestreben zu einer besseren, eben zu einer befreiten, Gesellschaft, in der die Ursachen für diese Gewalt effektiv bekämpft und abgeschafft werden können. Doch, was sind diese Ursachen? Welche Wurzeln haben diejenigen Strukturen, die so viel Leid und Tod auf dem Planeten verursachen?

Zur Beantwortung dieser Frage betrachten wir in dieser Ausgabe die Theorie und Praxis des Anarchismus. Seit jeher mit der radikalen Tierbewegung untrennbar verbunden, stößt doch die Forderung nach Anarchie bei einigen Menschen auf Unverständnis oder Irritation. Zum Teil getragen vom verzerrten, falschen oder abwertenden Gebrauch durch bürgerliche bis reaktionäre Medien, besteht hartnäckiger Irrglaube über Ziele und Ideen des Anarchismus.Der in dieser Ausgabe gegebene Überblick über historische und aktuelle, theoretische und praktische Beispiele des Anarchismus soll dazu anregen selbst in Euren Gruppen und Strukturen über radikale Herrschaftskritik zu diskutieren und weitere Anregungen zu recherchieren. Für eine Tierbefreiungsbewegung, die die Ursachen für Ausbeutung radikal bekämpft.

Editorial

Liebe Leser*innen,
der erneut im Schnitt zu warme Winter ist vorbei – und mit ihm auch die sogenannte 5. Jahreszeit. Ob Fasching, Fasnacht oder Karneval – das in vielen Ländern jährlich stattfindende, ausgelassene Feiern, das Kostümieren und Tauschen der Rollen haben lange Tradition, welche ihren Ursprung bereits in der Antike nahm. Schon im persischen Reich wurde aus Verurteilten der sogenannte Spottkönig gewählt. Dieser erhielt während der Zeit des Feierns und der Feste vorübergehend gewisse Privilegien, ehe er letztlich hingerichtet wurde. Ebenso erging es dem Scheinkönig – im antiken Rom wurden Standesunterschiede zeitweilig aufgehoben, Herren und Sklaven tauschten vorübergehend die Rollen. Per Los bestimmt, „regierte“ der Scheinkönig während des feierlichen Treibens und wurde letztlich ebenfalls ermordet.

Der Karneval in Köln wurde erstmals im Jahr 1234 dokumentiert und markiert als christlich geprägte Festzeit den Zeitraum vor der Fastenzeit. Den Armen bot sich einmal im Jahr die Möglichkeit, sich abzureagieren, ihre gesellschaftliche Rolle zu verlassen und im vorgegebenen Rahmen Kritik an den Herrschenden zu üben.

Frauen* wurden erst in den 1930er Jahren wesentlich am Karneval beteiligt. Keinesfalls Ausdruck der Emanzipation, störten sich die Nationalsozialist*innen schlicht an der männlichen Verkörperung der „Jungfrau im Dreigestirn“ beziehungsweise des „Funkemariechens“ und drückten so ihre Homophobie und Transfeindlichkeit aus. Der Aufmarsch der Jecken und Narren, begleitet von Marschmusik, diente überdies vor allem der Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankenguts, zum Ausdruck gebracht insbesondere in der Verhöhnung und dem Ausschluss jüdischer Menschen.

Über die Jahrtausende hat sich eines nicht verändert: Nach der närrischen Zeit, kehren wir Feiernden in unsere gesellschaftlichen Positionen zurück und sind ab Aschermittwoch wieder bereit unserem regulären Alltag nachzugehen. Kritik am heutigen Karneval und seinen Ursprüngen bleibt meist aus. Tierschützer*innen thematisieren immerhin die in den Umzügen ausgebeuteten Pferde und generieren Debatten um „artgerechte“ Pferdebehandlung. Eine historische Auseinandersetzung findet hingegen kaum statt. Während diverse Festwagen immerhin oberflächlich Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen üben, wird das Bild des (Straßen-)Karnevals von „knapp bekleideten Krankenschwestern*“ und „sexy Polizist*innen“ ebenso geprägt, wie von Fußgruppen in Baströckchen und mit dunkel bemalten Gesichtern (Blackfacing). In Büttenreden wird sich nicht minder bereitwillig sexistischer, ableistischer wie auch rassistischer Stereotypien bedient und ebenso nimmt die jährlich inszenierte Stürmung des Rathauses durch Frauen* keinen Anstoß an gesellschaftlicher Unterdrückung und Ungleichheitsverhältnissen. Das Treiben hat nun vorerst ein Ende, ehe am 11. November erneut der feierliche Trubel zugunsten der Privilegierten und Herrschenden beginnt.

Die vorliegende Ausgabe der TIERBEFREIUNG widmet sich neben den üblichen Rubriken den Herrschaftsverhältnissen und thematisiert schwerpunktmäßig die Zusammenhänge von Anarchismus und Tierbefreiung.

Da wir zur letzten Ausgabe darauf hingewiesen wurden, dass gelegentlich Probleme mit der Lesbarkeit der TIERBEFREIUNG bestehen, haben wir die Schriftgröße angepasst und hoffen so die Zugänglichkeit der Texte zu verbessern. Wir freuen uns stets über eure Anregungen und Tipps hinsichtlich Optimierungspotential.

Die nächste Ausgabe der TIERBEFREIUNG wird das Schwerpunktthema Feminismus und Tierbefreiung behandeln. Wie immer freuen wir uns über Leser*innenbriefe, Kritik und natürlich auch Lob. Schreibt uns, wenn ihr Ideen für zukünftige Schwerpunktthemen habt. Bleibt beziehungsweise werdet aktiv gegen Herrschaft und Ausbeutung – für eine solidarische, freie Gesellschaft!
Ina Schmitt