Tierbefreiung 109

Editorial

Liebe Lesende,

ich beneide ja Optimist*innen. Manchmal möchte ich in der Lage sein, mich ausgelassen über zum Beispiel den medial umjubelten Sieg in der US-Wahl freuen zu können. Dann mache ich TV-Expert*innenrunden im ARD an — eine Praxis um deren Nachahmung ich nicht werben möchte. Dort werden dann kluge Dinge gesagt; etwa, dass Biden auf jeden Fall erstmal die Corona-Pandemie in den Griff kriegen muss, wenn er die Wirtschaft retten will. Cool…

Aber zum Glück müssen wir uns ja im deutschsprachigen Raum nicht herumschlagen mit neoliberalen, nationalistischen Politiker*innen die immer wieder die mörderische Polizei decken und verteidigen. Kaum vorzustellen was hier los wäre, wenn offen menschenverachtend-rechte Nazicops gewaltsam in linke Hausprojekte einbrächen, diese verwüsteten und die Bewohnenden einsperrten, Antifaschist*innen auf offener Straße zusammenschlügen und sich dabei selbst in stolzer Pose fotografierten. Kaum auszumalen, wenn dann auch noch Horden von erwiesermaßen von Hooligans flankierten Verschwörungsnasen zu zehntausenden ihre gesammelten Virenkollektionen durch die Gegend verteilten und die Polizei diese aufgrund der „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ gewähren ließe. Es wäre ja nicht vorstellbar, wenn hierzulande ein ganzer Industriezweig existierte dessen einzige Aufgabe es wäre, fühlende Individuen zu dem Zweck zu züchten, sie zu ermorden, ihre Körper von effektiv Sklaven zerlegen zu lassen und für einen mächtigen Profit zu verkaufen. Und es auch noch Menschen gebe, die soetwas tatsächlich kaufen würden. Wir können doch alle wirklich froh sein, in Ländern zu leben, die die kommende Klimakatastrophe ernst nehmen und aktiv und entschlossen an ihrer Abwendung arbeiten, anstatt Klimaaktivist*innen zu kriminalisieren und ihre Proteste weiterhin niederzuknüppeln. Es ist doch wirklich ein Gutes, dass wir das kapitalistische Kyriarchat schon lange überwunden haben und sich nur noch die ältesten an das letzte Kohlekraftwerk erinnern.

Gut, aber zurück in der Wirklichkeit; es ist noch ein weiter Weg. Denn sowohl faschistische Despot*innen, „entfesselter“ Kapitalismus, Tierausbeutung wie auch Klima- und Pandemieleugnung sind Symptome dessen was die Menschen – zumindest einige Menschen – in ihren Köpfen und Herzen tragen. Aktivistische Bestrebungen, oder auf die Spitze getrieben, „die Revolution“, ist daher langfristig effektiv ein Bildungsprojekt — im allerweitesten Sinn des Wortes. Ein Kampf, den wir alle zusammen in organisierter Form kämpfen müssen.

Aus vielerlei Gründen ist es sinnvoll diese Organisierung in digitaler Form zu gestalten: Vernetzungseffekte können verstärkt werden. Es müssen nicht immer alle jedes Rad neu erfinden, da die Verfügbarkeit von Informationen auch Synergieeffekte erzeugt. Der Austausch von Daten über das Internet kann Mobilisierung, Teilhabe und den Schutz von physischen Ressourcen verbessern. Digitale Archivierung bietet Chancen und Herausforderungen, wie auch unsere ansässigen Archivar*innen eingängig in dieser Ausgabe schildern. Auch stellen sich uns als Magazin schwierige Fragen; so hat die Digitalisierung unserer Hefte zwar begonnen ist aber längst nicht zufriendenstellend abgeschlossen.

Durch elektronische Kanäle entstehen auch neue Möglichkeiten zur Vereinnahmung, Observation und Repression emanzipatorischer Bewegungen. Wir hoffen in diesem Rahmen eine für Euch interessante Mischung aus Themenfeldern zusammengestellt zu haben, die gleichzeitig Möglichkeiten wie auch Risiken beleuchten.

Alan Schwarz

 

Aus dem Inhalt:

  • Die Tierbefreiung digital – die Bewegung im Wandel
  • In einer Zeit vor Social Media und Messenger-Diensten
  • Digitaler Aktivismus gegen die Tierindustrie
  • Jake Conroy – The Cranky Vegan
  • Wenn Du die Revolution magst: Like und Teile diesen Artikel
  • Tierbefreiungsbewegung digital: Online-Kanäle der Bewegung
  • Angewandte Kryptographie

Weitere Themen:

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