„Das haben wir immer schon gemacht“. Vermutlich alle Menschen, die in der Tierbefreiungsbewegung aktiv sind, haben diesen Spruch schon einmal gehört. Meist wenn die Argumente für Tierausbeutung ausgehen. Aber wenn diese Sprüche so oft zur Legitimation herhalten müssen, lohnt es sich vielleicht genauer zu schauen.
Welche Rolle spielen Traditionen für den Erhalt der tierausbeuterischen, patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft? Traditionen sind Erzählungen, die häufig auf ein „besseres Früher“, eine Art „Goldenes Zeitalter“ verweisen. Sie werden argumentativ herangezogen, meist aus rechter oder konservativer Ecke, um zu diesem angenommenen „Früher“ zurückzukehren. Die Praktiken, in Form von rituellen Handlungen, die mit „Tradition“ begründet werden, verweisen ebenfalls auf dieses „Früher“. Traditionalist*innen sehen diese Praktiken womöglich als Relikte dieses „Früher“, die sie im Hier und Jetzt ausführen können. Wobei sich die Praktiken ändern können, die Narrative hingegen verändern sich weniger, wie Günther Rogausch in seinem Text in dieser Ausgabe ebenfalls festhält: „Bei der Weiterführung von Brauch und Tradition geht es also nicht darum, starr an Praktiken und Riten festzuhalten, vielmehr darum, an einem identitätsstiftenden Narrativ festzuhalten.“
Diese „identitätsstiftenden Narrative“ finden wir auf gesellschaftlicher Ebene auch in Bezug auf die Nutzung und Tötung von nichtmenschlichen Tieren. Schon unsere Vorfahren, aus längst vergangenen Zeiten – kurz: „schon immer“ – haben Tiere* gejagt, gegessen, für Zeremonien oder zur Unterhaltung genutzt. Diese Argumentation beruht auf einer Erzählung, die jegliche Entwicklung – moralische, kulturelle, soziale, ökonomische usw. – außer Acht lässt. Die Formen der Tierhaltung haben sich geändert, die Erzählungen über Tiernutzung, zum Beispiel heute über Werbung, erscheinen dabei recht starr. Mit insgesamt fünf Beiträgen möchten wir einen kleinen Einblick in das vielfältige Thema Tradition und Brauchtum geben.
Editorial
Die Sommerausgabe der TIERBEFREIUNG liegt nun also vor. Gern würde ich jetzt schreiben: Es wird wieder wärmer, die Sonne strahlt und wir können endlich wieder vermehrt auf die Straße gehen und unseren Unmut, unsere Wut auf die selbige tragen.
Und natürlich stimmt das irgendwie auch irgendwie. Es ist warm, aber eben zu warm. Seit Monaten geben die Daten von Klimawissenschaftler*innen an: Der wärmste Oktober (2023) seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der wärmste November (2023) seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der wärmste Dezember (2023) seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Und es geht 2024 eben immer so weiter. Das vielgepriesene 1,5-Grad-Ziel, dem immer noch viele Klimaaktivist*innen einen hohen Stellenwert in ihren Aktionen einräumen, ist längst gerissen. Wir befinden uns mitten in der Klimakatastrophe. In Brasilien – einem Hot-Spot der Tierindustrie (Regenwaldabholzung, Futtermittelanbau usw.) – stehen ganze Landstriche unter Wasser, weil ausgetrocknete Böden das Wasser von Starkregen nicht mehr aufnehmen können. Zig Tote – Menschen wie andere Tiere – sind die Folge. In Mexiko hingegen ist es so heiß, dass selbst Brüllaffen wegen Überhitzung regelrecht von den Bäumen fallen. Für den größten Teil der Öffentlichkeit in Europa sind dies nur Randnotizen – betrifft ja nur den Globalen Süden und nicht uns … Doch selbst wenn vor der eigenen Haustür eine ganze Region – das Saarland – absäuft, wird dies nicht als Folge der klimatischen Veränderungen benannt. Vielmehr wird eine ominöse ‚Gewalt der Natur‘ von einem sozialdemokratischen Politiker fabuliert. Eben mal wieder ein Jahrhunderthochwasser. Aber wie viele Jahrhunderthochwasser verträgt so ein Jahrhundert eigentlich? Ich habe keine Ahnung. Die Herrschenden haben aber schon Strategien entwickelt diesen Problemen Herr zu werden. Wenn ihr, liebe Lesenden, jetzt kurz Hoffnung geschöpft habt, dass ich hier eine gute Nachricht einflechten würde, muss ich euch enttäuschen. Die Reaktion ist kein Gegensteuern, kein Ausstieg aus der Tiernutzung oder den fossilen Energien. Es wird ein anderes Schwert ausgepackt. Für Menschen in Sozialen Bewegungen ein altbekanntes: Repression. Mal wieder, so möchte ich zynisch anmerken, werden Aktivist*innen, diesmal der Letzten Generation, als „Kriminelle Vereinigung“ angeklagt. Ganz nach dem Motto: Die Überbringer*innen der schlechten Nachrichten sind zu bestrafen, Hauptsache der Status Quo muss sich nicht ändern.
Nach dem ökologischen Klima könnte mensch in Bezug auf das gesellschaftliche Klima, nach den Protesten gegen die AfD, fragen: „Scheint die Sonne auch für Nazis?“ Wie gern würde mensch dies mit Nein beantworten. Aber trotz großer Demonstrationen und zahlreicher Skandale der AfD, steht die Partei stabil im zweistelligen Bereich bei Wähler*innenumfragen. Viele Menschen mögen diese Partei eben nicht ‚trotz‘, sondern ‚wegen‘ der rassistischen, nationalistischen, sexistischen etc. Inhalte. Hier bedarf es eben längerfristiger Organisation statt kurzfristiger Demonstration, um den nationalistischen und faschistischen Bestrebungen etwas entgegenzusetzen. Das gilt in diesem Jahr wohl vor allem für den Osten in Deutschland. Hier finden parlamentarische Wahlen statt und die AfD steht nicht schlecht da. Was eine Regierungsbeteiligung für zig linke oder alternative Projekte und deren Infrastruktur bedeuten könnte, liegt wohl auf der Hand. Auch hier reagieren die Herrschenden. Die Strategie ist hier einerseits verbal auf eine irgendwie geartete „Brandmauer“ zu verweisen und andererseits in der politischen Praxis einfach rechte Forderungen durchsetzen (Asylrechtsverschärfungen, Bezahlkarten für Geflüchtete …), sich mit Faschist*innen vernetzen (Markus Söder trifft Georgia Meloni) und die Diskurse weiter nach rechts verschieben (z. B. Jens Spahn, der sagt, dass die Brandmauer rechts von Meloni verläuft). Hauptsache, die eigene Macht- und Herrschaftsposition kann irgendwie erhalten werden.
Trotz dieser schlechten Voraussetzung sollten wir als Soziale Bewegungen mit emanzipatorischem Anspruch jetzt nicht in Stagnation verfallen. Vielmehr sind demonstrative Proteste auf den Straßen, widerständige Direkte Aktionen und Organisation, die Mittel, um sowohl in der Klimakatastrophe solidarische Strukturen aufzubauen und zu erhalten als auch den Faschismus zu bekämpfen. Beteiligt euch an emanzipatorischen Demonstrationen. Baut Netzwerke über Bewegungsgrenzen hinweg auf. Unterstützt linke, alternative oder anarchistische Infrastruktur (von der Küfa bis zum Projekthaus). Stärkt emanzipatorische Medienprojekte. Organisiert euch auf unterschiedlichsten Ebenen.
Wir sehen uns diesen Sommer auf einer Demo, einer Blockade, bei einer Küfa, auf einem Camp oder wo auch immer.
Tom
Titelthema
Das ist hier so Tradition … Vermutlich alle Menschen, die in der Tierbefreiungsbewegung aktiv sind, haben diesen Spruch schon einmal gehört. Meist wenn die Argumente für Tierausbeutung ausgehen. Aber wenn diese Sprüche so oft zur Legitimation herhalten müssen, lohnt es sich vielleicht genauer zu schauen.
– Holz der Nation: Traditionen als Treibstoff des Nationalismus
– Eingesperrte „Könige der Lüfte“: Der Alpenzoo Innsbruck
Tierversuche
Vegan
Bewegung & Aktivismus
– Termine
Lebenshöfe
64 Seiten