Der Hühnerbaron
Aus: Jubiläums Ausgabe 2004 / 20 Jahre die tierbefreier e.V.
Ein jahrelanger Kampf gegen Anton Pohlmann und die Eierindustrie
Auch wenn der Aktions-Schwerpunkt des jungen „Bundesverbands der Tierbefreier“ Mitte der 80er Jahre eindeutig auf dem Thema Tierversuche lag und zum Beispiel Veganismus noch kaum eine Rolle spielte, engagierten sich die AktivistInnen auch gegen die Eier-Industrie und vor allem gegen Legebatterien. Am 22. Juni 1986 etwa riefen die Tierbefreier zu einer „Begehung und Inspektion eines teilweise öffentlichen Geländes einer tierquälerischen Anstalt“ in Aschaffenburg auf. 200 TierrechtlerInnen folgten dem Aufruf und trafen sich an zwei zentralen Punkten in Aschaffenburg. Während die Polizei ein Versuchslabor – das vermutete Ziel – bewachte, machte sich ein Autocorso auf den Weg zur „Hühnerfarm“ von Peter Lück in Sommerkahl, die kurzerhand besetzt wurde. Der Betreiber behauptete vor ZeitungsreporterInnen, dass „Tiere keine Seele hätten“ und „nicht leiden wie Menschen“. Außerdem hätten sich die Zeiten geändert und auch Kühe und Schweine würden nicht mehr frei herumlaufen. Die tierbefreier erstatteten Anzeige und forderten die Staatsanwaltschaft sowie den ortsansässigen katholischen Gemeindepfarrer telefonisch auf, die Zustände im Inneren der Anlage sofort zu untersuchen. Natürlich kam niemand dieser Aufforderung nach.
Die Opfer zeigen
Neben solchen spektakulären Besetzungen wurde besonderer Wert darauf gelegt, die KonsumentInnen von Eiern auf das Tierleid aufmerksam zu machen. Meistens zur Osterzeit legten AktivistInnen der tierbefreier Hühner-Leichen in die FußgängerInnen-Zonen verschiedener Großstädte. In jüngerer Zeit wurde dabei auch darauf geachtet, klarzustellen, dass Boden- oder Freilandhaltung von Legehennen keine „bessere Alternative“ zur Batteriehaltung sind. Um zu zeigen, dass für jedes Legehuhn, egal in welcher Produktionslinie es landet, ein männliches Küken am ersten Tag nach der Geburt vergast wird, wurden aus Brütereien Kükenleichen entwendet und ausgelegt.
1992 waren solche – damals ungewöhnliche – Aktionen den Medien noch Fernsehberichte und große Zeitungsartikel wert. Am 11. April erlebte eine McDonalds-Filiale in Hamburg unter Beobachtung zahlreicher Kameras und FotografInnen „die Rückkehr des verreckten Huhns“. Mit dieser Parole luden AktivistInnen des Bundesverbands der Tierbefreier und von Tierschutz-Aktiv-Nord (heute: Tierrechts-Aktion-Nord) 70 tote Hühner vor dem Eingang ab. So mussten die Kundinnen und Kunden nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz real über Leichen zu ihren Burgern und Nuggets gehen.
Druck auf Aldi und Co
Ähnliche Auslege-Aktionen gab es in den Jahren darauf vor Aldi-Geschäften, weil diese Supermarkt-Kette Hauptabnehmerin des berüchtigten Eierbarons Anton Pohlmann war. Über sieben Millionen Hennen hielt das Pohlmann-Imperium 1994 in mehr als 20 deutschen Legebatterien und noch einmal ca. 15 Millionen in Amerika. Außerdem betrieb Pohlmann Weiterverarbeitungs-Fabriken. In manchen konnten täglich 1,5 Millionen Eier vollautomatisch gekocht und geschält oder zu Eipulver oder Flüssigei verarbeitet und anschließend verpackt werden. Auch im Futterhandel und beim Schlachtbetrieb mischten Anton Pohlmann und sein Sohn Stefan mit. Die Pohlmann-Firmen trugen so irreführende Namen wie „Ovobest“, „Goldhuhn Eierhof“ oder „Taufrisch Geflügelhof St. Arnold“. Seit 1970 war Anton Pohlmann zu mehr als zehn Vorstrafen verurteilt worden. Die Delikte reichten von Verstößen gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz über Verunreinigungen von Boden und Gewässern und Betreiben von Anlagen ohne Genehmigung bis zu Verstößen gegen Lebensmittelverordnungen, etwa, weil er Eier falsch datiert hatte. Meistens jedoch wurde er nur mit geringen Geldstrafen belegt.
Leichen für die Fest-Gäste
Dass Anton Pohlmann letztlich doch im Gefängnis landete und in Deutschland mit einem Tierhaltungsverbot bestraft wurde, wollten sich viele große Tierschutzorganisationen, allen voran der Deutsche Tierschutzbund, als ihren Erfolg auf die Fahne schreiben. Tatsache ist jedoch, dass es nicht diese Organisationen waren, die Tierquälereien aufdeckten, indem sie in die Batterien einbrachen. Sie waren es auch nicht, die der Bevölkerung und den GeschäftskundInnen die Opfer aus Pohlmann-Betrieben vor die Füße legten. Dafür, dass Pohlmann und die Eierindustrie nicht in Vergessenheit gerieten, sorgten radikale TierrechtlerInnen mit ihren Demonstrationen, und auch, indem sie Legebatterien in Schutt und Asche legten.
In Neuenkirchen/Vörden wollten die Pohlmanns am 12. März 1994 die Fertigstellung eines neuen Eierwerks feiern. Nicht eingeladen waren etwa 100 Personen des Bundesverbandes der Tierbefreier, der TAN und der Veganen Offensive Ruhrgebiet. Sie kamen aber trotzdem und brachten 120 tote Pohlmann-Hühner, den Inhalt von 20 Federbetten und literweise Theaterblut mit, was komplett vor den Eingang des Werkes und auf die Motorhauben der Nobelkarossen von Pohlmanns Gästen geschüttet wurde. Statt gegen den gerichtlich verurteilten Tierquäler vorzugehen, ließ „Vater Staat“ vier TierrechtlerInnen verhaften unter der Androhung drastischer Bestrafungen.
Batterien in Flammen
Noch höhere Strafen riskierte eine Zelle der Tierbefreiungsfront in der Nacht zum 23. Juli 1995. Wenige Tage zuvor hatte Anton Pohlmann den kompletten Bestand einer 100 mal 150 großen „Hühnerfarm“ in Gehrde bei Osnabrück ermorden lassen, weil die Tiere mit Salmonellen verseucht waren. Die fünf Doppelhallen standen also leer, als sie mit zwölf zeitverzögerten Brandsätzen in ein flammendes Inferno verwandelt wurden. Die Feuerwehr konnte nichts mehr retten. Der Schaden belief sich auf 15 Millionen Mark, woraufhin eine Versicherung den Hühnerbaron hinauswarf. „Mit der von uns gewählten Aktionsform haben wir verhindert, dass dort in nächster Zeit die Möglichkeit besteht, mehrere Hunderttausend sogenannte Legehennen systematisch auszubeuten“, schrieb die TBF in einem Bekennerbrief an den Bundesverband der Tierbefreier, der die Öffentlichkeit über die Aktion informierte und nur zwei Stunden später die Polizei samt Durchsuchungsbefehl in der Mainzer Geschäftsstelle begrüßen durfte. Dies war übrigens nicht der erste Brandanschlag. Am 30. Mai war bereits eine Batterie in Selm (NRW) in Flammen aufgegangen.
Der Nikotin-Skandal
Nachdem Aldi und andere Supermarkt-Ketten auf Druck der Öffentlichkeit Pohlmann-Eier boykottierten, versetzte ein ehemaliger Mitarbeiter namens Fikret Özdemir dem Agrar-Industriellen den letzten Schlag. Er packte aus, dass Pohlmann ihn angewiesen hatte, Hühner mit einem giftigen Nikotin-Wassergemisch zu bespritzen. Was genau Özdemir versprühte, wusste er zunächst nicht, denn die Kanister-Beschriftung war abgekratzt. Nach der Aktion ließ Pohlmann den Arbeiter mit schweren Vergiftungserscheinungen anderthalb Stunden auf dem Hof liegen. Nun gingen die Behörden den Vorwürfen im ganzen Eier-Imperium endlich gründlicher nach. In Eiern von 13 Farmen wurde eine hohe Nikotin-Belastung festgestellt. 80 Tonnen des Desinfektionsmittels Virkon-S hatte Pohlmann außerdem unerlaubt in das Futter der Tiere gemischt. Sechs Wochen musste Pohlmann in Untersuchungshaft, anschließend wurde er zu der (für ihn) Kleinigkeit von drei Millionen Mark Geldstrafe und einem lebenslangen Tierhalteverbot in Deutschland verurteilt, welches ihn aber nicht hinderte, als Geschäftsführer von Firmen zu fungieren, die offiziell seinen Familienangehörigen gehörten. Letztlich setzte er sich aber doch in die USA ab, um dort 15 Millionen Hennen auf noch grausamere Weise zu quälen. Als im Jahr 2000 ein Tornado in Ohio zwölf seiner Hallen mit je 150 000 Hennen zerstörte, ließ Pohlmann die Tiere einfach mit Bulldozern zerquetschen.