Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP)

Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP)

Die Europäische Union (EU) verfügt mit der Gemeinsamen Agrarpolitik, kurz GAP, seit ihrer Gründung über einen Mechanismus zur Steuerung und Stützung der kapitalistischen landwirtschaftlichen Produktion.

Historische Ursprünge

Die GAP hat eine lange Geschichte in der EU. Bereits in den 1950er-Jahren wurden Grundzüge einer europäischen Agrarpolitik in einer der Vorgänger-Organisationen der EU, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), formuliert und in den kommenden Jahrzehnten sukzessive ausgebaut. Während in der Landwirtschaft in Deutschland im Verlauf des zweiten Weltkriegs millionenfach Zwangsarbeiter*innen eingesetzt wurden und eine massive Ausbeutung der besetzten Gebiete erfolgte, waren die ersten Jahre nach dem zweiten Weltkrieg geprägt von enormen Engpässen in der Lebensmittelversorgung und einer starken Abhängigkeit von den Besatzungsmächten. Vor diesem Hintergrund setzte die Agrarpolitik der jungen Bundesrepublik Deutschland in den 1950er-Jahren stark auf staatliche Eingriffe in die Landwirtschaft sowie den Lebensmittelmarkt. In diesem Kontext beschloss die Bundesrepublik Deutschland mit Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden die Etablierung einer gemeinsamen Agrarpolitik im Rahmen einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik – der Beginn der GAP.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) spielte eine große Rolle bei der Ausgestaltung der GAP. Bereits im Rahmen der Etablierung der GAP 1957 setzte sich der DBV massiv gegen eine europäische Vereinheitlichung ein – und erreichte schließlich, dass die Bundesregierung zusätzliche Subventionen für die deutsche Landwirtschaft beschloss. Gleichzeitig hat sich der DBV früh zu einer Interessenvertretung der landwirtschaftlichen Großbetriebe entwickelt – und seine Lobbytätigkeiten über Deutschland hinaus auch stark auf die europäische Ebene erweitert.

Ziele

Folgende Ziele der GAP wurden 1957 in den Römischen Verträgen festgeschrieben[1]:

  • Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts und Rationalisierung,
  • Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der in der Landwirtschaft Tätigen durch Steigerung der Produktivität,
  • Stabilisierung der Märkte,
  • Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung,
  • Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen.

Inzwischen wird die GAP in der Regel alle sieben Jahre neu beschlossen – und auch mehr als 60 Jahre später finden sich diese Ziele in den heutigen EU-Verträgen.

Kapital-Konzentrierung und Überproduktion

Die GAP setzte ganz im Sinne landwirtschaftlicher Großbetriebe, die auf Wachstum ausgerichtet waren, auf Exportsubventionen und Mindesterzeugungspreise über dem Weltmarktpreis sowie unbeschränkte Abnahmegarantien. In den 1970er- und insbesondere 1980er-Jahren führte dies unausweichlich zu einer enormen Überproduktion insbesondere tierischer Produkte: Die berüchtigten Butterberge und Milchseen entstanden – mit entsprechenden Auswirkungen auf Tiere und die Umwelt.

Als Reaktion auf die Überproduktionsprobleme wurde die GAP in den 1990er-Jahren reformiert: zunächst 1992 mit der sogenannten MacSharry-Reform und darauf aufbauend 1999 mit der „Agenda 2000“. Die GAP wurde weg von einer einkommensorientierten Preispolitik und von Subventionen in Abhängigkeit der Produktionsmenge hin zu einer stärkeren Marktorientierung und einer Einführung von flächengebundenen Preisausgleichszahlungen entwickelt. Dadurch waren letztlich wieder die Großbetriebe die Gewinner: Die einkommensstärksten 10 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in der EU erhalten 55 Prozent der gesamten Direktzahlungen (Stand 2017).[2]

Eine solche Förderung der Großbetriebe trägt zu einer krassen Kapital-Konzentrierung innerhalb Deutschlands bei – und darüber hinaus auch zu einer Konzentrierung zu Lasten der osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten. Investor*innen nutzen Agrarland in den früheren realsozialistischen Ländern als profitable Anlagemöglichkeit, was maßgeblich auch an den flächenbezogenen Prämienzahlungen der GAP liegt.

Mit mehreren Reformen versuchte die EU, den Kritiker*innen dieser Praxis Wind aus den Segeln zu nehmen. So wurden die Direktzahlungen und die Mittel für Marktinterventionen mit der Agenda 2000 ergänzt durch Mittel für Maßnahmen der ländlichen Entwicklung sowie des Umwelt-, Natur-, Tier- und Verbraucherschutzes – die sogenannte zweite Säule, die heute knapp ein Drittel der GAP-Ausgaben beträgt. Und mit einer 2013 beschlossenen Reform der GAP wurde eine Deckelung der Direktzahlungen sowie eine anteilsmäßige Kopplung der Direktzahlungen an sogenannte Greening-Maßnahmen (Umweltschutzmaßnahmen) bewirkt. Doch dies konnte die beschriebene Kapital-Konzentrierung in der Praxis nicht beenden.

Und auch über die EU hinaus produziert die GAP Ungerechtigkeit. Die Exportsubventionen beispielsweise, deren Ende erst 2013 beschlossen wurde[3], führten dazu, dass vielfach Landwirt*innen im globalen Süden durch EU-Importe unter dem Weltmarktpreis-Niveau nicht mehr konkurrenzfähig waren.

Die GAP und Tierproduktion

Im Zuge der generellen Kapital-Konzentrierung, die durch die GAP befeuert wurde, sind auch eine Intensivierung der Tierproduktion und eine Steigerung der Tierbestände erfolgt. Dies führte in der Überproduktions-Krise als Konsequenz der GAP zu den bereits genannten Butterbergen und Milchseen, aber auch zur Überproduktion von Fleisch. So wurde zeitweilig im Rahmen der GAP eine „Prämie für frühzeitiges Schlachten von bis zu 20 Tage alten Kälbern“ ausgeschüttet. Im Verlauf der Ausschüttung dieser Prämie (1996–2000) wurden etwa drei Millionen Kälber getötet und vernichtet oder zu Tiermehl oder Fischfutter verarbeitet. Die Prämie wurde in der Presse auch Herodes-Prämie genannt, nach dem römischen König, der laut Bibel neugeborene Kinder ermorden ließ, da er unter ihnen Jesus vermutete. In Deutschland durfte die Prämie wegen „ethischer“ Bedenken nicht angewandt werden, dafür wurden Kälber aus Deutschland in das EU-Ausland transportiert, um dort die Prämie zu kassieren.

Daneben gab es für alle möglichen anderen Aspekte der Tierproduktion weitere Prämien, unter anderem für die Geburt von Kälbern, für die Haltung von Mutterkühen und -schafen, für die Schlachtung von Rindern sowie für die Verwendung von Magermilch als Futtermittel. Im Zuge der Umstellung der Direktzahlungen hin zu einer Kopplung an die landwirtschaftliche Fläche wurden diese Prämien schließlich abgeschafft.

Auch der massive Anstieg des Exports von lebenden Tieren und Tierprodukten aus Deutschland hängt eng mit der GAP zusammen aufgrund des damit einhergehenden Ausbaus eines EU-weiten Marktes.

Die GAP und Landwirt*innen

Die klare Zielvorgabe der GAP, die Produktivität zu steigern, hatte auch direkte Konsequenzen auf die Landwirt*innen in Deutschland: Der kapitalistische Wettbewerb nahm zu; wer mithalten wollte, musste die Betriebe vergrößern – nach dem Motto „Wachs‘ oder Stirb“. Ein entsprechendes Höfesterben war das Ergebnis: Während es 1971 noch über eine Million Betriebe in Deutschland gab, waren es im Jahr 2012 noch knapp 300.000 Betriebe.[4]

Und obwohl mit der GAP enorme Fördermengen an landwirtschaftliche Betriebe verteilt wurden und werden, sind die Einkommen vieler Landwirt*innen weiterhin unterdurchschnittlich – bei weiterhin deutlich überdurchschnittlichen Arbeitszeiten. Dabei haben Landwirt*innen zusätzlich zu den klassischen landwirtschaftlichen Tätigkeiten ein deutlich gesteigertes Maß an Bürokratie, denn für viele GAP-Leistungen müssen detaillierte Nachweise dokumentiert werden.

GAP heute und die anstehende Reform ab 2020

Im EU-Haushalt für das Jahr 2019 macht die GAP knapp 36 Prozent des gesamten Budgets aus – was zwar deutlich niedriger ist als der Anteil von knapp 70 Prozent des EU-Haushalts, den die GAP Anfang der 1980er-Jahre betrug, jedoch weiterhin ein enormer Anteil ist angesichts der vielfältigen anderen Aufgaben, die die EU übernimmt.[5]

Für die anstehende Reform der GAP über 2020 hinaus hat die Europäische Kommission bereits Vorschläge vorgelegt, und auch das Europäische Parlament hat bereits Forderungen aufgestellt.[6] Angesichts der noch laufenden Abstimmungen und der sich daran anschließenden bürokratischen Schritte zur Umsetzung ist davon auszugehen, dass die Reform jedoch nicht wie geplant im Jahr 2021 in Kraft treten kann, sondern zunächst eine Übergangsverordnung eingesetzt wird.[7]

Auch wenn gewisse Kritikpunkte in der Reform berücksichtigt werden sollten, wird sie aus tierbefreierischer Perspektive keine grundlegenden Verbesserungen im gegenwärtigen Landwirtschaftssystem bewirken. Wie ein emanzipatorisches Landwirtschaftsmodell aussehen könnte, was mögliche Forderungen an eine Umgestaltung der GAP wären und ob dieses Thema ein sinnvolles Betätigungsfeld für die Tierbefreiungsbewegung ist, wird mit diesem Titelthema diskutiert.[8]

Text: Loris Matzke
aus: Tierbefreiung 105 / Dezember 2019

 

[1] Römische Verträge, Artikel 39, Seite 30 f., eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:11957E/TXT&from=DE

[2] www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/EZ_flashlight_europe_2017_06_ENG.pdf

[3] web.archive.org/web/20161023112737/https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2013/221-AI-Exporterstattungen.html

[4] www.agrar-presseportal.de/Nachrichten/Hoefesterben-setzt-sich-fort_article15584.pdf

[5] www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/106/die-finanzierung-der-gemeinsamen-agrarpolitik

[6] www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/113/die-kunftige-gemeinsame-agrarpolitik-nach-2020

[7] Kleine Anfrage, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/121/1912191.pdf

[8] Video-Empfehlung: „Geschichte im Ersten: Akte D (1) – Die Macht der Bauernlobby“; einsehbar unter: www.ardmediathek.de/daserste/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZSBfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuLzZlMjJkY2E2LWI2MjItNGMwYS1hMmNkLWE2MDY4YjQ4YzYwZA/