Tierbefreiung 85

Tierbefreiung 85

Liebe Leser_innen,

im Max-Planck-Institut Tübingen hat eine Undercover-Recherche die Zustände der dortigen Primatenhirnforschung enthüllt. Dieses Ereignis war für uns Anlass einmal genauer nachzufragen, was es mit dieser Aktionsform auf sich hat. Im Rahmen des Titelthemas antworten Aktive von SOKO Tierschutz, Rights Watch, Tier im Fokus, Vegan Heute und der niederländischen Gruppe Ongehoord. Zur Sprache kommen der immense Aufwand, die Risiken und die emotionale Belastung dieser Aktionsform, die dem Leid der Tierausbeutung so nah wie kaum eine andere kommt und gerade deshalb so wirksam ist. Mit der Recherche allein ist es aber noch nicht getan. Mithilfe der produzierten Bilder müssen anschließend die Medien und (innerhalb der Formate ebendieser) die Öffentlichkeit erreicht werden. Entsprechend wird auch über die Verwertbarkeit von Bildern, die Potenziale und die Grenzen von Recherchematerial gesprochen.

Darüber hinaus befindet sich ein wenig beachtetes Thema gleich zweimal im Heft: Die Nanotechnologie verändert die Lebensmittelindustrie, birgt unerforschte Gefahren für Menschen und bedeutet den Versuchstod von Tieren. Mehr dazu in „Neues von der Fleischfront“ und im Tierversuchs-Ressort. Auch aus dem Bereich Tierversuche und ebenfalls aus Tübingen kommt die Nachricht, dass in der Tübinger Hirnforschung neben Primaten auch Krähen verwendet werden. An sich nur eine schreckliche Meldung unter vielen anderen. Als Aktive müssen wir uns bis zu einem gewissen Punkt gegen die geballte Konfrontation mit Gewalt abschotten. Und doch passiert es hin und wieder, dass uns eine Meldung ganz besonders „erwischt“. Vielleicht hat mich die Forschung an Krähen deshalb so schockiert, weil ich ihnen auch in der Stadt jeden Tag begegne und wie Cord Riechelmann bekenne: „Ich mag Krähen, ich mag wie sie gehen, fliegen und sich anschreien“. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich den Gedanken so absurd finde, die Intelligenz von Tieren dadurch wissenschaftlich verstehen zu wollen, ihnen den Schädel aufzubohren.

Melanie Joy spricht von der Gefahr des „overwitness“, das heißt dass eine zu starke Beschäftigung mit Gewalttaten traumatisierend wirken kann. Als Redaktion möchten wir in der nächsten Ausgabe die Belastungen der aktivistischen Erfahrung und der Beschäftigung mit der Gewalt an Tieren in den Fokus nehmen und ihnen Raum geben. Kontaktiert uns gern, wenn ihr Beiträge zu aktivismusbedingten Überlastungen und deren Prävention schreiben möchtet. Mögliche Themen reichen von Leistungsdruck und Repression, Diskriminierungen und Gruppenstrukturen bis hin zur Auseinandersetzung mit „overwitness“ und Traumata.

Zum Abschluss noch zwei gute Nachrichten, die es nicht mehr in die Meldungen geschafft haben: Unter dem Eindruck angekündigter Aktionen steht Appelrath-Cüpper zum 2006 beschlossenen Pelzausstieg. Die geplanten Proteste können sich nun voll und ganz auf Anson’s konzentieren. Außerdem wurde in Nordrhein-Westfalen das bundesweit zweite Zentrum zur wissenschaftlichen Erforschung von tierversuchsfreien Verfahren (CERST-NRW) eingerichtet.

Kommt gut durch die dunkle Jahreszeit,
Markus Kurth