Liebe Leser_innen,
in Wietze wird Europas größte „Geflügel“-Tötungsfabrik gebaut. Dazugehörend der Bau von mehr als 400 neuen Zuliefererbetrieben in der Region. Es geht lediglich um Marktanteile, denn der Markt ist bereits gesättigt. Das nennt sich dann „Verdrängungswettbewerb“. Einen rechtlich „guten Grund“ für die Massenhaltung und -tötung von Tieren stellt sogar dieser langfristig erwartete Profit durch die Überproduktion von Tieren dar. Nicht genug: Dieser Agrar-Kapitalismus wird auch noch mit Millionen aus Steuergeldern subventioniert. Das Tierschutzgesetz präsentiert sich mal wieder als bedeutungsloser Witz. Um gegen diese zur Spitze getriebene Verdinglichung von Tieren zu demonstrieren, organisierte sich eine fast 12 Wochen anhaltende Besetzung des Baugeländes. Eine Aktivistin beschreibt mitreißend ihre Eindrücke, zum Beispiel von der tatkräftigen Solidarität, die den Aktivist_innen von vielen Anwohner_innen entgegengebracht wurde.
Das letzte Heft hat uns vergleichsweise viel Kritik von Euch beschert. Grund dafür waren zwei Artikel, in denen wir uns kritisch mit Gruppierungen in der Tierrechtsbewegung auseinandersetzten. Ein Vorwurf galt sowohl der Redaktion, als auch der deutschen Tierrechtsbewegung überhaupt: Wir würden gegen andere Tierrechtler_innen „hetzen“ und der „angestrebten Zerstreuungs-Taktik von Industrie und Wirtschaft“ folgen, anstatt zusammen zu halten. So in der Titelstory und im Artikel zum TSEK (Tierschutz-Einsatz-Kommando).
Wir bedauern diese Wahrnehmung. Wir fühlen uns der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung verpfichtet und sind uns unserer Verantwortung gegenüber der Bewegung bewusst. Alles, was wir veröffentlichen, kann sich auf sie auswirken. Wir sind daher sehr bemüht, sachlich-kritisch, anstatt destruktiv-verantwortungslos zu schreiben. Doch gerade wegen der Verpflichtung gegenüber einer fortschrittlichen Bewegung wollen wir auch kritische Stimmen zulassen und nicht eine einzige Richtung vorgeben. Wir bitten diesbezüglich um Verständnis und Vertrauen – und um rege Teilnahme am kritischen Diskurs. Das eine wäre, tatsächlich Hetze gegen Anderseingestellte zu betreiben. Etwas anderes aber, sich in der Sache kritisch zu Fremdpositionen zu äußern. Ohne das sachliche und kritische Abtasten anderer Positionen entwickelt sich keine aufgeklärte, fortschrittliche und emanzipatorische Bewegung, sondern eine diskursabgehobene.
Ein aktuelles Tema in der Tierbefreiungsbewegung ist die Frage der gemeinsamen Basis. Sollen wir mit allen Menschen zusammenarbeiten, solange es den Tieren (vermeintlich) nutzt? Sollen wir darüber hinwegsehen, wenn die Neue Rechte Nichtdeutsche und andere Menschen diskriminiert? Wenn das Universelle Leben scheinbar Angehörige entpersönlicht und entsozialisiert und Kritiker_innen durch einen ehemaligen Scientology-Anwalt mundtot macht? Wenn ein Tierrechtsbuchautor, der sich als „bekanntester Vordenker und Verfechter der Tierrechtsethik im deutschsprachigen Raum“ bezeichnen lässt, einem Nazi-Medium ein Interview mit dem Titel „Holocaust- Vergleich wird immer wichtiger“ gibt? Oder wenn die Tierschutzpartei mit harter Hand geführt wird und ein unklares Verhältnis zum UL hat (siehe dazu meine Stellungnahme)? Wollen wir als Bewegung lediglich ein Ende der Diskriminierung und Ausbeutung von Tieren? Oder auch bezogen auf Menschen? Die Befreiungsidee endet weder beim Menschen, noch bei nichtmenschlichen Tieren. Sie greift ein strukturelles Problem an: die Diskriminierung an sich.
Natürlich machen wir auch Fehler. Oft schreiben wir unter Zeitdruck. So muss ich mich zum Beispiel für den Begriff Links“extremismus“ entschuldigen. Ich war mir nicht bewusst, dass dieser Begriff unsachlich wertend und somit abzulehnen ist. Unsere redaktionelle und journalistische Arbeit ist als unbezahlte nicht gerade unsere Haupttätigkeit. Dennoch bemühen wir uns stark um die Sicherung der Qualität der Beiträge als sachlich, kritisch, konstruktiv und unabhängig und tun unser Bestes, diese vier Werte zu erhalten. Wir freuen uns weiterhin auf kritische Leser_innen und über Beiträge, Hinweise und Briefe von Euch.
Eine angenehme Lektüre wünscht
Emil Franzinelli